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Jessica Campbell: Die erste Frau hinter einer DEL-Bande

Es ist ein Novum in der Deutschen Eishockey Liga: Mit Jessica Campbell stand die erste Frau hinter der Spielerbank. Die 29-jährige Kanadierin wurde von den Nürnberg Ice Tigers eigentlich als Powerskating-Trainerin für eine Woche verpflichtet, hinterließ mit ihren offensiven Ideen aber Eindruck und coachte plötzlich in der DEL. Nun will Campbell Barrieren für ihre Kolleginnen durchbrechen.



Im März schien die Torproduktion bei den Ice Tigers ein wenig zu klemmen. In den ersten vier Wochen dieses Monats gelang Nürnberg in fünf von sechs Spielen nur ein einziger Treffer. Da kam Trainer Tom Rowe auf die Idee, mit einem Skills- und Powerskating-Coach neue Impulse zu setzen. Als er sich darüber mit Sportdirektor Stefan Ustorf unterhielt, kam der Name Jessica Campbell auf. Die 29-jährige Kanadierin ist ehemalige Nationalspielerin, aktuell im Trainer-Staff der Chicago Steel in der USHL aktiv und wird im Sommer immer wieder von Teams gebucht, um diese in Sachen Technik und Skating zu verbessern.

Tom Rowe holte im März Jessica Campbell ins Boot

Das Trainerteam bei den Nürnberg Ice Tigers: Manuel Kofler, Tom Rowe und Jessica Campbell (v.l.n.r.). BILDBYRÅN/Zink


„Usti hat das eingefädelt“, berichtet Rowe. „Er kannte sie, hat mir ihre Nummer gegeben und ich habe sie angerufen. Die Unterhaltung, die wir hatten, war unglaublich. Sie hat gesagt, dass sie in den nächsten Tagen in Deutschland sein würde und den Jungs helfen könnte. So hat das alles angefangen...“


Gute Gespräche und eine mutige Entscheidung  

Campbell landete also in Nürnberg und ging dort zunächst als Powerskating-Coach mit den Ice Tigers an die Arbeit. „Sie hat ein paar Übungen mit den Jungs gemacht, viele Spielsituationen. Sie selbst ist eine phänomenale Skaterin. Wenn man ihr zuschaut, dann weiß man, warum sie das unterrichtet. Sie versteht das Spiel“, erinnert sich Rowe, der immer wieder lange Gespräche mit der jungen Trainerin führte. „Mir hat einfach gefallen, wie sie über die offensive Einstellung zu diesem Spiel denkt und über Dinge wie Skating und Puckbesitz. Ich habe dann gefragt, ob sie sich nicht den Filzstift schnappen, etwas auf die Tafel malen und über die Offensive reden möchte. Ich habe es geliebt, wie sie es erklärt hat, mit allen Kleinigkeiten und Details, wie man das Skating besser nutzen und man Räume schaffen kann.“

Rowe erkannte schnell das Potenzial und den Mehrwert für das Team, also brach er bisherige Strukturen auf und wagte kurz vor den Playoffs einen gewagten Schritt. „Ich finde, man muss auch mal Risiken eingehen. Nur so wirst du besser. Sie hat ein wirklich gutes Verständnis für die Offensive, - mir gefällt die defensive Seite des Spiels besser. Ich habe mir also gedacht: Mensch, das ist eine tolle Kombination. Ich habe dann vor dem Pre-Game-Scouting die Verantwortung für alle Offensiv-Schemen übertragen. Kofi (Co-Trainer Manuel Kofler) kümmert sich um die Defensive und das PK, also habe ich ihr gesagt: Das machst jetzt alles du, du kannst machen, was du willst. Sie hat einen großartigen Job gemacht. Ich habe ihr dann auch noch das Powerplay übertragen, denn ich konnte dieses Problem selbst nicht lösen.“


Ein Novum: Die erste Trainerin in der DEL  

Dass mit Campbell eine Frau das Ruder übernahm, spielte für Rowe überhaupt keine Rolle. „Ich liebe es, neue Dinge auszuprobieren. Ich habe kein großes Ego, ich möchte einfach gute Leute um mich herumhaben, denn sie lassen auch mich und unsere Spieler besser aussehen“, erklärt der 65-jährige Chefcoach, der Campbell für die Spiele gegen die Iserlohn Roosters (6:2), den EHC Red Bull München (2:3 n.P.) und die Augsburger Panther (3:2 n.P.) zur Co-Trainerin beförderte und sie mit auf die Spielerbank nahm. Ein Novum in der Deutschen Eishockey Liga! 

Lukas Ribarik bekommt Anweisungen von Jessica Campbell

Direktes Feedback: Nürnbergs Stürmer Lukas Ribarik bekommt Anweisungen von Jessica Campbell BILDBYRÅN/Zink


„Mir könnte es nicht egaler sein, ob es ein Typ oder eine Frau ist. Ich möchte einfach die besten Personen in meinem Stab haben. Ich habe einen großartigen Typen mit Kofi und habe ihr gesagt: Ich weiß, dass du nicht lange hier sein wirst, aber ich möchte, dass du mit auf die Bank gehst. Sie hat ein wenig zurückgerudert, aber ich habe gesagt: Hey, du bist jetzt hier, und der beste Platz für dich ist auf der Bank.“


Viele Neins und ein wichtiges Ja  

Für Campbell öffnete sich so die Tür für einen langen ersehnten Traum: Verantwortung als Trainerin in einem Profi-Team übernehmen. „Normalerweise werde ich in der Sommerpause gebucht, um Mannschaften in Sachen Skating und Skills besser zu machen. Was ich immer wusste ist, dass ich Spieler besser machen kann, aber ich habe die Umsetzung im Spiel nicht sehen können. Jetzt konnte ich das Etikett der Skating-Trainerin ablegen und eine Co-Trainerin im Profibereich der Männer sein“, sagte Campbell. „Ich glaube, jeder war ein bisschen überrascht. Ich selbst auch. Aber ich war auch bereit für diese Möglichkeit. Ich habe auf diesen Moment hingearbeitet. Ich wollte einfach einen Mehrwert für das Team, für Tom und Kofi bringen und ihnen in der kurzen Zeit hier neue Ideen und eine neue Perspektive geben. Eine neue Stimme kann manchmal helfen, zumindest hat mir das als Spielerin immer geholfen. Ich wollte ihnen einen frischen Blick auf die Dinge geben und sie haben das begrüßt. Auf der Bank konnte ich in den jeweiligen Situationen eingreifen, um Dinge, die mir aufgefallen sind zu verändern. Dieses unmittelbare Feedback zu geben, war sehr wichtig.“

Es geht um Puckbesitz – und genau so funktioniert Frauen-Eishockey

Dass Campbell als erste Frau in einem Trainer-Job in der DEL auch noch Geschichte schrieb, war ihr zunächst gar nicht bekannt. „Ich wusste das gar nicht“, lacht die Kanadierin. „Ich hatte Leute zu Hause, die ein paar deutsche Artikel gelesen und übersetzt haben. Ich denke, es ist gut für das Spiel, das deutsche Eishockey und die Spieler, dass sie offen für neue Ideen sind. In diese Richtung wird sich dieser Sport entwickeln, nicht nur in der NHL, sondern auch in der DEL. Es geht um Puckbesitz – und genau so funktioniert Frauen-Eishockey. Es ist wichtig, um das Spiel weiterzuentwickeln und zu zeigen, dass Frauen dabei helfen können.“


„Du hörst, dass es nicht klappen wird, weil du eine Frau bist“  

Diese Hilfe wollten zahlreiche Klubs bislang allerdings nicht annehmen. „Meist ist das Erste, was du hörst, dass es wohl nicht klappen wird, weil du eine Frau bist. Das Problem ist: Wenn du immer wieder auf diese Barrieren triffst, dann geben andere auf. Für mich war es aber keine Barriere, die nicht durchbrochen werden konnte. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie ich mich selbst von anderen unterscheiden kann, wie ich mich als Trainerin entwickeln kann, um zu zeigen, dass ich es kann. Irgendwann kommst du an einen Punkt, wo dich diese ganzen Neins nicht mehr kümmern, sondern du konzentrierst dich darauf, was dich von anderen unterscheidet, was dich besonders macht und vertraust darauf, dass es auch Menschen wie Tom gibt. Ich bin super-dankbar, denn ich habe bis heute viele Neins gehört. Jetzt war es endlich mal ein Ja“, sagt Campbell. 

Frauenpower! Jessica Campbell durchbricht Barrieren

Frauenpower: Jessica Campbell durchbricht Barrieren - auch für ihre Kolleginnen. BILDBYRÅN/Eibner




Frauen bald ein fester Bestandteil im Männer-Eishockey?  

Dass langsam aber sicher ein Umdenken in der Eishockey-Welt stattfindet, bewiesen in dieser Saison bereits die Vancouver CanucksCammi Granato sorgte für Aufsehen, denn sie übernahm als erste Frau überhaupt einen Assistant-GM-Posten in der NHL. „Cammi Granato und die anderen Pioniere sind brillante Menschen und bekommen jetzt eine Plattform, um sich zu beweisen. Ich bin froh, dass ich auf diesen Zug aufspringen konnte. In Kanada und in den USA ist es nicht mehr ganz zu fremd, dass Frauen involviert sind. Es ist mehr Scouting, Analysen, Informationen sammeln und Arbeit hinter den Kulissen, aber es war niemand hinter der Bande, in Aktion und hat Wechsel angesagt. Das ist der Hauptteil dieser Geschichte. Tom hat mich in allen drei Spielen involviert“, so Campbell. „Es gibt viele großartige Coaches, die dafür aufgeschlossen sind. Es bewegt sich etwas, die Denkweise ändert sich. Die Zeit war reif. Es ging darum, dass es anfängt und das großartige ist, dass Nürnberg es gestartet hat. Dass ich die Möglichkeit bekommen habe, es hier zu tun, wird hoffentlich Barrieren in der Zukunft durchbrechen. Das ist ein Geschenk. Wir sind die Pförtnerinnen, wie man dieses Spiel spielt und können uns für eine Trendwende einsetzen. Vielleicht können die Veränderungen im Stil der Ice Tigers zeigen, was Frauen-Eishockey stark macht. Schon in den letzten Tagen konnte man sehen, dass es schnell ist, Puckbesitz-orientiert und es macht Spaß, es anzuschauen. Ich weiß, dass es den Weg für viele andere Spielerinnen ebnet, aber auch für die jungen Töchtern der Spieler, die hier ihren Vätern zusehen, damit sie erkennen, dass Frauen das können.“

Es wurde weniger geflucht

Fürsprecher sammelte Campbell auch im Kreis der Mannschaft. „Es war sehr interessant. Sie macht das toll. Es ist auch eine große Herausforderung für sie, aber sie ist begeistert und motiviert. Das sieht man auch auf dem Eis, wie sie mit uns arbeitet. Sie hat viel Erfahrung und hat uns vor allem im Skills-Bereich verbessert: Schlittschuhlaufen, Stock-Techniken, wie kann man sich vom Gegner wegdrehen, wie kann man Räume schaffen füreinander“, erzählt Ice-Tigers-Stürmer Marko Friedrich. „Jeder hat einen Laufstil, den er sich über die Jahre angeeignet hat. Sie hat sich das individuell angeschaut. Ich zum Beispiel konnte noch mehr Weg zum Abstoßen schaffen. Das sind wirklich Feinheiten, die aber noch ein paar Prozent rausholen und uns im Spiel helfen können, den Verteidiger noch zu überlaufen, um eine Torchance zu kreieren.“

Marco Friedrich

Feinheiten verbessern: Ice-Tigers-Stürmer Marco Friedrich nahm sich die Ratschläge von Jessica Campbell zu Herzen.   BILDBYRÅN/Zink


Auch während der Liga-Spiele war Campbell sofort ein Ansprechpartner für die Spieler. „Patrick Reimer hat sich in einer Unterbrechung umgedreht und sie gefragt: Jessica, was ist dir im Powerplay aufgefallen? Wenn sich auch der Kapitän direkt auf sie einlässt, dann weißt du alles, was es zu wissen gibt. Unsere Jungs sind sehr offen dafür, an jedem Tag besser zu werden“, sagte Rowe, dem auch noch eine weitere Veränderung in seinem Team aufgefallen ist: „Es wurde auch ein bisschen weniger geflucht”, lacht der Headcoach. „Ich habe die ganze Zeit nicht geflucht. Gut, vielleicht ein bisschen auf der Bank. Das hat sie gehört und gesehen, aber überhaupt nicht beeindruckt. Sie ist eine fröhliche und energiegeladene Person, passt also sehr gut zu unserer Mannschaft.“

Ist Tom Rowe in diesem Moment vielleicht

Ein bisschen geflucht: Ist Tom Rowe in diesem Moment ein schlimmes Wort entkommen?  BILDBYRÅN/Zink


Auch Campbell war begeistert: „Es ist ziemlich unglaublich und eine gewaltige Erfahrung. Es hat sich wie eine frische Brise angefühlt. Die Jungs haben mich definitiv gut aufgenommen und diese Ideen angenommen, mich respektvoll und mit viel Klasse behandelt. Ich denke, wir hatten gute Gespräche, wie wir dieses Team weiterentwickeln können und wie wir für die Playoffs nochmal einen Schub bekommen können. Ich bin froh, dass ich dazu beitragen konnte. Ich nehme diese Eindrücke alle mit, werde sie verarbeiten und zu Hause wird mich das dann alles voll treffen. Ich werde mit Freude zurückblicken.“


Rückkehr nach Nürnberg möglich  

Nur Stunden nach diesen Aussagen saß Campbell schon wieder im Flugzeug in Richtung USA, wo sie bei den Chicago Steel in der USHL als Trainerin gebraucht wird. Zurück ließ die 29-Jährige eine verbesserte Offensive sowie ein spielfreudigeres Powerplay. „Da werde ich gleich emotional“, sagt Campbell. „Die ganze Woche hat Spaß gemacht, war eine wilde Fahrt und es gab tonnenweise zu lernen, viele Herausforderungen. Ich werde es definitiv vermissen, aber ich bleibe der größte Ice-Tigers-Fan. Ich bin mir sicher, dass ich dem Team über Zoom-Calls aus der Ferne helfen kann und werde. Ich bin ein lebenslanger Fan und Unterstützer dieses Klubs. Mein ultimatives Ziel ist, eine Profi-Trainerin zu sein. Auf dem Weg dorthin war das ein wichtiges Sprungbrett. Wir hatten im Trainerteam eine gute Zeit zusammen, großartige Synergien und ich hoffe, dass wir das fortführen können. Ich werde jetzt erstmal zu Hause meinen Job weitermachen, diese Schritte haben mir Kraft gegeben und sind wichtig für mein Selbstvertrauen. Ich weiß jetzt, dass ich es hier geschafft habe und es auch den Jungs gefallen hat. Hoffentlich kann das wieder ein Teil meiner Zukunft sein.“

Aussagen, die stark nach einem Comeback zur neuen Saison klingen. Nürnberg soll bereits Verhandlungen aufgenommen haben. „Sie hat eine unglaublich strahlende Zukunft vor sich. Sie ist erst 29 Jahre alt, sie ist wortgewandt und hat ein sehr gutes Verständnis für Hockey. Ich habe zu ihr gesagt: Jessica, du kannst uns jetzt nicht verlassen“, sagte Rowe.

Wir werden noch auf diesen Moment zurückblicken

Dem Trainer, der Campbell wie selbstverständlich nach ihrem letzten Spiel zur Pressekonferenz mitbrachte und ihr für die komplette Spielanalyse das Wort übergab, erntete zum Abschluss nochmal einen ganz besonderen Dank: „Das wäre alles nicht passiert, wenn es nicht auch jemand möglich gemacht hätte. Genau das hat Tom für mich getan. Er hat vor allen anderen in mir eine Trainerin gesehen und den Wert, den ich dem Team bringen kann und er hat auch dafür gesorgt, dass das Team dafür offen war und mitgearbeitet hat. Diese Tür für mich zu öffnen bedeutet auch, Türen für hundert andere zu öffnen. Das ist der Start einer Reise und wir werden noch auf diesen Moment zurückblicken. Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere und wir werden Tom Rowe dafür dankbar sein.“




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