Julia Zorn: Aus einer Torhüterin wird eine Top-Torjägerin
Julia Zorn hat ein großes Talent: Tore schießen. Mit 250 Treffern ist sie die Rekord-Torjägerin in der Frauen-Bundesliga. Dabei ist die erfolgreiche Stürmerin eigentlich ausgebildeter Goalie. Elite Prospects Rinkside hat mit der Nationalspielerin über diesen außergewöhnlichen Wandel, Gehirnerschütterungen und die anstehende Olympia-Qualifikation mit Deutschland gesprochen.
Unglaublich, aber wahr: Zorn hat in 15 Jahren Frauen-Bundesliga mehr Tore geschossen als Spiele absolviert. In 247 Partien gelangen ihr 250 Treffer (250-243-493, also 2,0 Punkte pro Spiel). Obendrauf kommen auch noch elf Playoff-Einsätze mit einer 10-4-14-Ausbeute. Damit ist die Stürmerin vom ESC Planegg die beste deutsche Torjägerin in der Geschichte der Frauen-Bundesliga.
Julia Zorn im Trikot vom ESC Planegg BILDBYRÅN/Nordphoto
Eine bescheidene Teamplayerin
„Das wusste ich gar nicht“, sagt Zorn darauf angesprochen. „Das ist schon cool, weil es auch zeigt, wie viel Arbeit, Schweiß und Tränen man da reingesteckt hat. Ich würde es aber nicht zu hoch werten, denn Teamerfolg ist wichtiger als persönlicher Erfolg. Ich würde daher lieber ein neuntes Mal Deutscher Meister werden. Ich bin eher ein Teamplayer, das bedeutet mir mehr.“
Auch in der laufenden Saison produziert die 31-Jährige Tore wie am Fließband: In den ersten zehn Spielen knipste Zorn schon wieder 18-mal die Torlampe an (18-5-23). „Klar ist das cool, wenn du als Stürmerin triffst, das ist schließlich auch meine Aufgabe“, sagt Zorn, relativiert dann aber erneut: „Man schießt diese Tore aber nicht alleine. Ich habe immer Mitspieler, die dafür sorgen.“ Doch selbst mit wechselnden Reihenpartnerinnen - Kerstin Spielberger und Sarah Kubiczek sind derzeit verletzt - knipst Zorn einfach weiter: „Franziska Feldmeier schießt selbst nicht so gerne, spielt lieber Pässe und kann die Scheiben brutal gut verteilen. Das erklärt auch meine Statistiken. Kathrin Lehmann ist vielleicht nicht mehr die Spritzigste, hat aber viel Erfahrung, ein gutes Spielverständnis und Stellungsspiel. Es klickt so gut, weil wir uns auch privat gut verstehen. Eishockey ist nunmal ein Mannschaftssport.“
Erst Torhüterin, dann Torjägerin
Zum Eishockey kam die in Gräfeling geborene und in Germering aufgewachsene Zorn über einen Sandkastenfreund. „Davor habe ich zwei Jahre Ballett ausprobiert. Trotzdem bin ich heute der wohl unbeweglichste Mensch, den es gibt“, lacht Zorn. „Vielleicht hätten sich meine Eltern eine etwas klischeehaftere Sportart für ihre Tochter gewünscht. Sie haben mich aber super unterstützt, mich zum Training gefahren, mir die Ausrüstung bezahlt und vieles mehr. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.“
Hierzu sei gesagt, dass Zorns Eltern damals auch noch in eine Goalie-Ausrüstung investieren mussten, denn die heutige Nationalstürmerin begann tatsächlich im Tor. „Ich war 15 Jahre meines Lebens Torwart“, berichtet Zorn. „Damals wurde mir vorgeworfen, dass ich den Kampf um den Platz in der Nationalmannschaft nicht annehmen wollte. Das war allerdings nicht der Grund für den Positionswechsel. Planegg war damals schon sehr gut, ich stand also meist 60 Minuten lang beschäftigungslos zwischen den Pfosten. Irgendwann hatte ich dann immer weniger Bock, im Tor zu stehen und habe immer häufiger im Feld gespielt. Über zwei Saisons bin ich immer mit zwei Taschen durch die Gegend gereist. Mein letztes Spiel im Tor habe ich 2011 gemacht. Ich hatte das Glück, dass es im Verein und in der Nationalmannschaft dann als Stürmer geklappt hat. Ich hätte mir nie erträumt, dass ich es dahin schaffen würde.“
Mittlerweile ist Zorn sogar Kapitänin der deutschen Auswahl. In Planegg, wo die 1,70 Meter große Linkschützin ihre komplette Karriere verbrachte, trägt sie das „A“ auf dem Trikot. „Bei uns ist Monika Pink seit Jahren Kapitän. So lange Mona spielt, möchte ich auch gar nicht Kapitän sein. Sie hat Planegg geprägt und auch ich konnte unfassbar viel von ihr lernen. Ich finde ganz generell, dass es egal ist, ob du einen Buchstaben auf der Brust hast. Verantwortung kannst du trotzdem übernehmen.“
BILDBYRÅN/Nordphoto
Eishockey-verrückt durch und durch
Im Gespräch mit Zorn wird schnell klar: Diese Frau lebt und atmet Eishockey. In ihrer knapp bemessenen Freizeit geht sie zusätzlich mit Männern aufs Eis und schnürt die Schlittschuhe auch noch für den ESV Bad Bayersoien in der sechsten Liga. „Bis ich 21 Jahre alt war, habe ich ganz normal bei den Jungs mitgespielt, danach auch immer in 1B-Mannschaften, in den Junioren oder in der Schüler-DNL mittrainiert, um einfach eine zusätzliche Eiszeit zu haben. Jetzt hatte ich das Hirngespinst, dass ich gerne mal bei den Männern spielen wollte. Erst war es eine Idee aus Flachs, dann kam eines zum anderen und sie haben mir die Chance gegeben. Ich wollte beweisen, dass ich es schaffen kann und versuche, die körperliche Komponente mit Spielverständnis auszugleichen. Ich weiß, dass ich immer zwei Schritte mehr machen muss, um mich zu beweisen. Es gibt auch keinen Trashtalk, den ich noch nicht gehört habe. Das ist nichts, was ich nicht kenne. Diese Herausforderung nehme ich gerne an.“
Wenn Zorn nicht selbst auf dem Eis steht, verfolgt sie das Geschehen in der DEL, DEL2 und in der Oberliga. „Ich kenne viele Leute, die in diesen Ligen spielen“, erklärt sie. „Ich gucke sehr gerne Eishockey. Das macht mir Spaß und ich kann brutal viel lernen.“ Ihr Lieblingsspieler ist Torwart Andreas Jenike von den Iserlohn Roosters. „Ich mag und bewundere seine Einstellung und Arbeitsweise. Ich habe ihn beobachtet, wie er arbeitet, viel mit ihm diskutiert und finde das sehr bewundernswert.“
Ein Klub ohne eigene Halle
Andersherum können sich natürlich auch die Männer etwas bei den Frauen abschauen. „Ich denke generell die Leidenschaft und Einstellung, die wir mitbringen“, zählt Zorn auf. „In Planegg haben wir noch eine besondere Situation, weil wir kein eigenes Eisstadion haben und deshalb in drei verschiedenen Hallen trainieren müssen. Wir müssen also immer unsere Taschen mitnehmen und eine Stunde oder länger zum Training fahren. Wir bringen auch selbst Geld mit durch den Beitrag im Verein, die meisten zahlen auch ihre Ausrüstung selbst.“
Vom Eishockey leben geht im Frauen-Eishockey meist ohnehin nur durch Sportförderprogramme wie dem der Bundeswehr. In einem solchen ist auch Zorn. Gleichwohl hat die 31-Jährige schon parallel vorgesorgt und nach ihrem Abitur sowohl den Bachelor als auch den Master in Sportwissenschaften gemacht. Nach ihrer Karriere könnte Zorn aber aufgrund eigener Erlebnisse auch einen anderen Weg einschlagen. „Mich interessiert das Concussion Management sehr. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass es da nur wenig gibt.“ Bei Zorn selbst wurden schon drei Gehirnerschütterungen diagnostiziert. „Es ist cool, wenn du jemanden hast, mit dem du dich darüber austauschen kannst, denn es ist für andere ziemlich schwer nachvollziehbar. Es sind Symptome, die dich krass aus dem Alltag herausreißen können. Mit einer Gehirnerschütterung kannst du nicht lesen, nicht Fernsehschauen, nicht richtig schlafen. Wenn es blöd läuft, geht da gar nichts. Gleichzeitig ist es aber auch eine von außen unsichtbare Verletzung. Keiner sieht, dass es dir nicht gut geht. Damit kommt dann auch noch eine psychische Komponente hinzu. Keiner weiß, wie lange es dauert. Ich hatte das Glück und Durchhaltevermögen, um wieder zurückzukommen. Darauf bin ich sehr stolz.“
Die letzte Chance? Olympia-Quali in Füssen
Nun will Zorn das deutsche Frauen-Eishockey stolz machen: Mit der deutschen Nationalmannschaft geht es ab dem 11. November um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2022 in Peking/China. „Es ist schon nicht wenig Druck“, weiß Zorn. „Es steht viel auf dem Spiel, denn es geht auch um Fördergelder und die Zukunft des Frauen-Eishockeys. Wir nehmen das aber gerne an, immerhin haben wir lange auf diese Chance gewartet. Ich weiß auch, dass es meine letzte Chance ist, zu Olympia zu fahren.“
Im Qualifikationsturnier in Füssen trifft Deutschland auf Österreich (11. November, 17.15 Uhr), Italien (13. November, 12 Uhr) und Dänemark (14. November, 12 Uhr). „Drei Spiele, jeder gegen jeden, nur einer fährt“, freut sich Zorn. „Wir sind gut vorbereitet, gut aufgestellt und müssen in jedem Spiel unsere beste Leistung abrufen.“
BILDBYRÅN/ActionPictures
Alle Spiele werden live auf Magenta Sport übertragen. Für Zorn und ihre Mitspielerinnen eine große Chance, auf das deutsche Frauen-Eishockey aufmerksam zu machen. „Mädels müssen sehen, dass es das gibt. In der Eishockey-Blase sind wir gar nicht mehr so unbekannt. Außerhalb davon denken noch viele, dass wir Kampfweiber sind. Aber das stimmt nicht: Auch wir haben gemachte Fingernägel, interessieren uns für Mode und sind ganz normale Frauen. Warum also nicht an Eishockey herantrauen? Es macht ultra-krass Spaß!“