Tim Stützle: Neue Erfahrungen und alte "Bromance"
Tim Stützle ist eines der größten deutschen Talente und spielt sein zweites NHL-Jahr bei den Ottawa Senators. Für den 19-Jährigen hat sich viel verändert: Mit Elite Prospects Rinkside hat sich der Stürmer über seine neue Position, andere Gegner und seine „Bromance“ mit Brady Tkachuk unterhalten…
Als „Sophomore Jinx“ oder „Sophomore Slump“ wird in der NHL ein Phänomen bezeichnet, das im zweiten Karrierejahr auftritt und sich ins Deutsche am besten als „verflixtes zweites Jahr“ übersetzen lässt. Gemeint ist ein Leistungseinbruch, den manche Spieler nach der Euphorie im Premierenjahr in der Folgesaison erleben müssen.
Beim deutschen Top-Talent Tim Stützle ist davon aber noch nichts zu spüren, im Gegenteil: „Ich muss ehrlich sagen: Meiner Meinung nach habe ich am Anfang der Saison in den ersten Spielen noch nie so gut gespielt, aber die Scheibe ist nicht reingegangen. Da war auch sehr viel Pech dabei“, erklärt Stützle im Gespräch mit Elite Prospects Rinkside. „Jetzt habe ich auch ein paar Tore geschossen, was meinem Selbstvertrauen auch gutgetan hat.“
Centerman: Stützles neue Rolle als Mittelstürmer
Der im NHL Draft 2020 in der 1. Runde an insgesamt 3. Stelle von den Senators ausgewählte Linksschütze kam in seiner Debütsaison 2020/21 vor allem als linker Flügelstürmer zum Einsatz. In 53 Spielen gelangen ihm 29 Scorerpunkte (12-17-29), also 0,55 Punkte pro Partie. In seinem „Sophomore Year“ wird Stützle überwiegend als Center aufs Eis geschickt und weist ähnliche Zahlen auf: In 29 Spielen steht er bei einer 5-10-15-Ausbeute und 0,52 Punkten pro Partie.
„Ich denke, ich habe mich um einiges verbessert, auch im defensiven Spiel. Ich bin sehr variabel im Lineup, kann außen oder als Center spielen. Im Großen und Ganzen habe ich noch einmal viel Erfahrung gesammelt und möchte jetzt noch einmal eine Schippe drauflegen“, führt Stützle aus.
Mittendrin statt nur dabei: Tim Stützle spielt bei den Ottawa Senators jetzt als Center. Dan Hamilton / USA TODAY Sports
Die Steigerung in der Defensivarbeit lässt sich zumindest am Plus-Minus-Wert noch nicht ablesen. Diesbezüglich steht der 19-Jährige bei -14. Doch Stützle relativiert: „In diese Statistik kann viel mit reinspielen. Zum Beispiel auch die Empty-Net-Tore, die als Minus zählen, wenn wir den Torwart rausholen. Da habe ich viele abbekommen.“
Ich habe mich im Defensivspiel um einiges verbessert.
Genau das aber zeigt auch, dass Trainer D.J. Smith auch in den wichtigen Momenten auf den Deutschen vertraut, insbesondere dann, wenn Ottawa ein Tor braucht. „Ich habe dieses Vertrauen die ganze Zeit gespürt“, sagt Stützle. „Ich spiele auch im ersten Powerplay und bin in wichtigen Situationen auf dem Eis, was mir sehr hilft. Die Trainer sagen immer, dass ich ruhig bleiben soll: Ich bin noch sehr jung, habe noch viel Potenzial nach oben und spiele erst meine zweite Saison.“
Auch an seine neue Rolle konnte sich der in Viersen geborene und bei den Adlern Mannheim ausgebildete Angreifer schnell adaptieren. „Ich fühle mich auf der Center-Position sehr wohl, bekomme viele mehr Scheiben, helfe den Verteidigern, das Spiel aufzubauen und gebe den Puck an die Flügelspieler weiter“, sagt Stützle. „Ich bin sehr zufrieden, wie ich als Mittelstürmer Spieler. Es geht nicht um meine Punkte, sondern darum, als Mannschaft Spiele zu gewinnen. Wir hatten im Dezember einen guten Monat, denke ich.“
Umbruch in Arbeit: Senators noch nicht bereit für die Playoffs
Ottawa war im Oktober und November das schlechteste Team in der NHL (4-14-1), konnte sich seitdem aber stabilisieren: Im Dezember konnten die Sens fünf von neun Spielen gewinnen (5-3-1).
„Ich denke, wir haben eine coole Mannschaft, wir verstehen uns alle gut“, so Stützle. „Viele müssen aber verstehen, wie jung wir noch sind. Natürlich wollten wir alle besser starten, wir haben teilweise auch gut gespielt und oft mit viel Pech verloren. Auch ich habe nicht so abgeliefert, wie ich hätte sollen. Wir haben aber gute Talente in unseren Reihen, da wird auch noch eine Menge nachkommen.“
James Carey Lauder-USA TODAY Sports
Im Schnitt sind die Senators mit 25,45 Jahren die drittjüngste Mannschaft in der NHL, nur die New Jersey Devils (24,53 Jahre) und Columbus Blue Jackets (25,10 Jahre) haben einen noch niedrigeren Altersschnitt, stehen derzeit aber ebenso wenig auf einen Playoff-Platz.
Alleine die Top-6-Scorer, also die ultimativen Leistungsträger der Sens, mit Drake Batherson (23, 9-19-28), Josh Norris (22, 14-8-22), Brady Tkachuk (22, 12-10-22), Connor Brown (27, 4-13-17), Thomas Chabot (24, 1-16-17) und Stützle (19, 5-10-15) sind im Schnitt gerade einmal 22,83 Jahre jung. Der Umbruch in der kanadischen Hauptstadt ist auf einem guten Weg, aber noch nicht vollendet.
„Am Ende wird man sehen, wo wir landen“, sagt Stützle. „Für uns ist wichtig, dass wir uns täglich entwickeln, besser werden, hart arbeiten und unser Spiel zeigen.“
Trotz Umzug: „Bromance“ mit Tkachuk
Anders als im letzten Jahr, als Stützle eine Hockey-WG mit Tkachuk und Norris bildete, wohnt der Deutsche nun alleine. „Es ist ein Gebäude mit mehreren Apartments. Josh wohnt auch dort, jeder hat aber eine eigene Wohnung. Brady wohnt nur vier Minuten, Drake drei Minuten und Thomas fünf Minuten weg. Wir sind also alle sehr nah zusammen“, plaudert Stützle aus dem Nähkästchen.
Der Umzug jedenfalls tat auch der „Bromance“ mit Tkachuk keinen Abbruch. „Auf keinen Fall“, lacht Stützle. „Gestern haben wir sogar zusammen einen Whirlpool für Brady gekauft, weil der andere kaputtgegangen ist. Wir gehen oft zusammen essen und sehen uns täglich im Training. Manchmal reicht das ja auch.“
ZUMA Wire
Neue Division, neue Städte, neue Arenen
Für ein neues Gefühl sorgt dagegen der Spielplan. In seiner Debüt-Saison spielte Stützle mit Ottawa ausschließlich in Kanada (North Division), denn aufgrund der Coronavirus-Pandemie wurde nur innerhalb der regional neu-eingeteilten Staffeln gespielt. Für die Saison 2021/22 ist die NHL zum gewohnten Konzept zurückgekehrt. Die Senators treten also auch gegen Teams außerhalb ihrer Atlantic Division. Ein Novum für Stützle in seinem zweiten NHL-Jahr.
„Am Anfang war es supercool mit den Fans und allem drum und ran. Das hat sich jetzt leider schon wieder erledigt. Wir in Ottawa dürfen im Moment nur 1000 Fans zulassen. Das ist eine blöde Situation, auch weil viele jetzt schon das zweite Mal Corona haben.“
Die neuen Städte und neuen Team aber saugte das deutsche Top-Talent trotzdem gerne auf: „Es macht Spaß. Man sieht neue Orte, Kulturen und Mannschaften, auch die Städte und Sehenswürdigkeiten sind schön anzuschauen, wenn wir mal Zeit haben, etwas essen zu gehen. In Dallas und Florida war es zum Beispiel sehr cool.“
Viele Treffen mit deutschen Kollegen kamen dabei allerdings nicht heraus, was allerdings am Spielplan lag. „Ich habe bislang nur gegen Nico (Nico Sturm, Minnesota Wild) gespielt. Damals konnten wir aber nicht zusammen essen gehen, weil wir ein Back-to-Back-Spiel hatten“, erklärt Stützle.
Kontakt nach Mannheim
Den Kontakt in die Heimat hält Stützle freilich auch aufrecht. „Mit meinen Eltern telefoniere ich recht häufig, mit den Adler-Spielern war es zuletzt schwer, weil beide viel gespielt haben. Ab und zu schreiben wir uns mal. Wenn ich Zeit habe, schaue ich mir auch ihre Spiele an, das macht immer Spaß. Wenn dann einer meiner engen Freunde ein Tor schießt, dann gibt es natürlich eine Nachricht von mit“, grinst Stützle.
Ich will zeigen, dass ich ein Top-6-Stürmer bin.
Zuletzt nahm auch der der 1,84 Meter große Stürmer merklich an Fahrt auf. In seinen letzten acht Spielen sammelte Stützle sieben Scorerpunkte (4-3-7). Daran möchte der 19-Jährige weiter anknüpfen: „Ich will einfach jeden Tag besser werden, ein fester Bestandteil auf der Centerposition sein, auch wenn verletzte Spieler zurückkommen, und zeigen, dass ich ein Top-6-Stürmer bin.“
John E. Sokolowski-USA TODAY Sports