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Nico Sturm: Ein schneller Abschied, Airbnbs und Instinkt-Hockey bei den Avs

Hinter Nico Sturm liegen aufregende Wochen: Nach dem Transfer zu den Colorado Avalanche spielt der 26-jährige Augsburger plötzlich für einen ultimativen Titel-Favoriten. Mit Elite Prospects Rinkside spricht der Center über einen stressigen Trade, ein abgelehntes Vertragsangebot bei den Minnesota Wild und seine neue Rolle bei den Avs…



Plötzlich zählt  Nico Sturm zu den Favoriten auf den Stanley Cup. Am 15. März, also kurz vor der Trade-Deadline, wurde der Augsburger von Cup-Contender Minnesota Wild zum Top-Favoriten Colorado Avalanche getradet. Nun lässt sich der 26-jährige Mittelstürmer vom Titelhunger in Denver anstecken. Vorausgegangen aber waren auch stressige Tage mit einem schnellen Abschied aus den Twin Cities, wenigen gepackten Taschen, einer Airbnb-Wohnung und einer neuen Rolle: Bei den Avs nämlich wird der 1,91 Meter große und 95 Kilogramm schwere Linksschütze nicht nur eine Reihe höher, sondern auch deutlich offensiver eingesetzt.

Am 15. März wurde Nico Sturm zu den Colorado Avalanche getradet

Am 15. März wurde Nico Sturm zu den Colorado Avalanche getradet Isaiah J. Downing-USA TODAY Sports



Servus Nico, mit den Avalanche habt ihr gerade einen Franchise-Rekord mit 52 Hauptrunden-Siegen eingestellt. Entsteht da gerade was Historisches in Colorado?

Ich wusste das gar nicht, muss ich sagen. Auch in der Mannschaft selbst hat das glaube ich keinen interessiert. Die Jungs sind top eingestellt, der Anspruch ist unglaublich hoch hier, wir wollen jedes Spiel gewinnen. Auch wenn wir ein Spiel gewonnen, aber nicht gut gespielt haben, wird keine fette Party gefeiert, das zeigt genau diese Einstellung. Es ist die beste Mannschaft, in der ich je gespielt habe. Für uns zählt nur der Erfolg in den Playoffs. Daran werden wir gemessen.


Zuletzt gelang beim 2:1 n.P. bei den Edmonton Oilers der sechste Sieg in Serie. Gab es die Möglichkeit, sich mit Leon Draisaitl zu unterhalten?

Nein, wir haben uns erst vor zwei Wochen unterhalten, als sie in Colorado gespielt hatten. Jetzt hatten wir keine Zeit. Bei späten Spielen geht es danach immer recht zügig raus, schnell in den Bus und dann zum Flughafen. Es ist schön, wie wir momentan spielen und auch am Ende eines langen Roadtrips noch einen Weg finden, in einem Back-to-Back-Spiel auch gegen ein frisches Top-Team zu gewinnen. 


Vor wenigen Wochen bist du erstmals in deiner Karriere getradet worden. Wie und wo hast du es erfahren und wie hast du darauf reagiert?

Bill Guerin (General Manager der Minnesota Wild) hat es mir nach dem Training erzählt. Er ist auf mich zugekommen und hat gesagt, dass ein Trade gemacht wurde und ich nach Colorado gehe. Es wurden kurz Hände geschüttelt und dann war es auch schon vorbei. Es war eine Konversation, die hat vielleicht maximal 30 Sekunden gedauert. Das ist sehr geschäftlich, ein harter, klarer Schnitt, mehr war da nicht. Ich habe mich dann kurz von den Jungs verabschiedet, allen geschrieben und das war‘s dann auch schon.


Mit den Colorado Avalanche bist du beim NHL-Spitzenreiter gelandet. Welche Gefühle hat das ausgelöst? 

In Minnesota lief es in den Monaten vor dem Trade und insbesondere nach der All-Star-Pause nicht so gut. Der Trade kam also nicht aus heiterem Himmel. Mein Vertragsstatus hat sicherlich auch eine Rolle gespielt. Ich bin also nicht aus allen Wolken gefallen. Das Leben wird da schon umgekrempelt. Nicht nur mein eigenes, sondern auch das meiner Freundin und meiner Familie. Als ich dann gehört habe, dass es nach Colorado geht, ist meine Stimmung aber schnell ins Positive umgeschlagen. 


Wie stressig ist so ein Trade?

Es ist schon sehr stressig, alles geht sehr schnell. Auch die neue Mannschaft möchte ja, dass du so schnell wie möglich für sie spielst. Ich habe vor Ort dann alles gleich mitgenommen, mich noch von den Jungs und vom Staff verabschiedet, die noch im Trainingszentrum waren, bin rüber in die Arena, um auch dort mein Zeug zu holen und habe dann gleich mit Joe Sakic (General Manager der Colorado Avalanche) telefoniert und die Reisepläne besprochen. Zu Hause habe ich dann gleich meine Sachen gepackt und bin am nächsten Tag nach San Jose geflogen, weil die Avalanche dort auf einem Roadtrip waren.


„Ich bin ein Kopfspieler und muss mich wohlfühlen, damit ich Leistung bringen kann“


Wer kümmert sich eigentlich um den Umzug und wo wohnst du jetzt? 

Das neue Team hilft einem dabei, denn es arbeiten viele Leute für die Mannschaft. So wurden zum Beispiel Flüge oder mein Auto organisiert. Ich selbst musste mich um ein bisschen Papierkram kümmern. In den ersten zwei Wochen war ich im Hotel und musste mir mein Essen immer bestellen oder unterwegs etwas mitnehmen. Ich habe dann eine Wohnung in Denver gefunden und sie bis zur ersten Playoff-Runde über „Airbnb“ gemietet, denn ich wollte jetzt keine Möbel einrichten. Ich habe ja auch noch meine Wohnung in Minneapolis, wo meine Freundin nach wie vor lebt und arbeitet. Ich hatte damals vielleicht ein, zwei kleine Taschen gepackt und schlage mich jetzt so durch. Die Aufregung hatte sich dann auch recht schnell gelegt.


Mitten in der Saison in ein neues Team zu kommen, ist sicherlich für beide Seiten nicht einfach. Wie bist du bei den Avs aufgenommen worden?

Es ist natürlich immer unangenehm, irgendwo der Neue zu sein. Gerade für mich, denn ich bin ein Kopfspieler und muss mich wohlfühlen, damit ich meine Leistung bringen kann. Die Mannschaft weiß natürlich auch, warum ich geholt wurde und dass ich ihr weiterhelfen kann. Sie haben mich also schnell und positiv aufgenommen. Vom ersten Tag an war alles super, ich habe mich schnell eingelebt und wohlgefühlt, im Training, in den Spielen und auch neben dem Eis. Ich war selbst überrascht, wie schnell das ging, denn ich dachte, dass das länger dauert. Es hatte aber auch viel damit zu tun, dass mich die Organisation anders sieht. Es gibt ja immer einen Grund, warum ein Klub einen Spieler hergibt und warum ein anderer diesen holt. Das neue Team sieht etwas anderes in diesem Spieler.


„Ich habe das Gefühl, dass ich hier mehr Vertrauen bekomme“

Was genau sehen denn die Avalanche in dir, was die Wild nicht gesehen haben?

Wenn du wie ich über drei Jahre in einer Organisation bist, dann gibt es eine gewisse Voreingenommenheit. Der Trainer und der GM sehen dich immer aus demselben Blickwinkel. Nach einer so langen Zeit wird es schwer, da rauszukommen. Ich glaube, dass ich nach wie vor ein eher defensiv-orientierter Spieler für die dritte und vierte Reihe bin, der Bullys gewinnen muss und in Unterzahl spielt. In Minnesota aber waren meine Eiszeiten und die Toleranz, Fehler zu machen, sehr gering. Wenn es nicht lief, war die Eiszeit sehr schnell weg. Ich habe immer versucht, meine Rolle zu verändern und zu vergrößern. Leider hatte ich aber nicht das Gefühl, dass es individuell vorwärts ging. In Minnesota hatte ich eine Viertreihen-Rolle, mehr nicht. Das hat mich teilweise schon irgendwo gereizt, dass ich auch wenn ich gut gespielt habe, nicht mehr Eiszeit bekommen habe. Also kann ein frischer Start guttun. Hier habe ich das Gefühl, dass ich viel mehr Vertrauen bekomme und auch mal mehr nach vorne versuchen darf, auch wenn es mal schiefgeht. Hier läuft es anders, das gibt einem Selbstvertrauen. Das ist der aufregendste Teil: eine Rolle neu zu formen.

Nico Sturm: Ein wichtiger Mann für die Bullys, speziell in Unterzahl

Nico Sturm: Ein wichtiger Mann für die Bullys, speziell in Unterzahl Charles LeClaire-USA TODAY Sports



Wie genau haben die Avalanche deine Rolle denn definiert?

In Colorado habe ich auch aufgrund von Verletzungen momentan die Chance, in der dritten Reihe zu spielen. Mein Kerngebiet hat sich nicht verändert: Ich bin ein Shutdown-Center, der Bullys gewinnen muss. Der Gegner soll immer das Gefühl haben, dass es schwer ist, gegen mich zu spielen. Alex Newhook ist der linke Flügelspieler, mit dem ich immer zusammengespielt habe. Er ist offensiv sehr talentiert. In Minnesota hatte ich nicht die Gelegenheit, neben solchen Spielern zu spielen. Das ging mir sehr ab, weil das Spiel dadurch sehr geradlinig und einseitig war. Jetzt macht es mehr Spaß, denn wir kreieren Torchancen. Dafür spielen wir doch alle Eishockey, um Tore zu schießen, das macht am meisten Spaß. Auch in der dritten oder vierten Reihe gehört ab und zu mal ein Erfolgserlebnis dazu.

In eine offensivere Rolle darf Nico Sturm (re.) bei den Colorado Avalanche schlupfen

In eine offensivere Rolle darf Nico Sturm (re.) bei den Colorado Avalanche schlupfen Isaiah J. Downing-USA TODAY Sports



Wie schwer war es, sich an ein neues System zu gewöhnen und was genau ist anders?

Bei den Avalanche ist es mehr Instinkt-Eishockey. Wir spielen schon auch im System, aber die Spieler haben mehr Freiheiten. Es ist nicht so Schienen-Eishockey, wie es zumindest für mich in Minnesota war, da hatte ich diese Freiheiten nicht. In Sachen Geschwindigkeit und Intensität habe ich schon einen Unterschied gemerkt, auch im Training. Selbst in den freiwilligen Einheiten ist die Pace unglaublich hoch. Das ist genau das Anforderungsdenken, das die Spieler hier haben. 


Du spielst jetzt für die beste Mannschaft der Liga und somit für einen ultimativen Cup-Contender. Ist der Traum vom Stanley Cup plötzlich zum Greifen nahe?

Zum Greifen nahe würde ich nicht sagen, dafür sind wir noch zu weit entfernt. Das Anspruchsdenken ist aber schon da, das habe ich auch vom ersten Tag an gemerkt. Spieler wie Nathan MacKinnon arbeiten jeden Tag hart und pushen die Mitspieler. Er ist einer der besten Spieler der Welt und möchte unbedingt den Stanley Cup gewinnen. Das geht hier durch die Bank jedem so. Wir sind allerdings gut beraten, auch in den Playoffs einen Gegner und ein Spiel nach dem anderen anzugehen.


„Mein kleiner Bruder hat die 78 vorgeschlagen – in Anlehnung an den AEV“


Wie siehst du deinen Start in Colorado?

Sehr positiv. Persönlich gewinne ich viele Bullys, zuletzt kamen auch die ersten Punkte dazu. Im Moment haben wir mit der Mannschaft großen Erfolg – das ist das Allerwichtigste.


Bei den Wild bist du mit der Nummer 7 aufgelaufen, warum ist es bei den Avalanche jetzt die 78?

Die 7 (Devon Toews) und die 8 (Cale Makar) waren schon weg. Die 17, die ich auch im College hatte, trug der Spieler, für den ich getradet wurde (Tyson Jost), also wollte ich die nicht haben. Dann hat mein kleiner Bruder die 78 vorgeschlagen, in Anlehnung an das Gründungsjahr des Augsburger EV (1878). Ich hatte sonst keine Ideen mehr, und das war eine witzige Geschichte, also wurde es die 78.


Am 28. März ging es zurück nach St. Paul an die alte Wirkungsstätte. Wie emotional war diese Rückkehr für dich?

Das war natürlich schon komisch, es waren ja nur acht, neun Tage nach dem Trade. Der andere Weg ins Stadion, eine andere Kabine – ich wusste, dass ich irgendwo aufgeregt sein werde. Ich wollte einfach gewinnen, nicht aufzaubern, sondern einfach mein Spiel spielen. Als es dann vorbei war, konnte ich mit dem Thema abschließen und habe es auch mental verarbeitet. 


Was hast du von Denver und den Rocky Mountains bislang schon mitbekommen?

Noch nicht viel. Ich habe mich ja mit der Wohnungssuche beschäftigt, dann gab es die Roadtrips. Jetzt kommen meine Eltern für zwei Wochen aus Deutschland. Sie werden sich sicherlich ein bisschen mehr umschauen als ich. Mein Fokus liegt jetzt voll auf dem Eishockey, es wird aber auch die Zeit kommen, in der ich das typische Touristen-Programm abspulen kann. 


„Ich bin nicht so der Ranch-Typ, aber ich kann es mir ja mal anschauen“ 

Hast du dich bei Philipp Grubauer über den neuen Klub informiert?

Nee, in der Zeit nach dem Trade ging mir so viel durch den Kopf, dass ich daran gar nicht gedacht habe. Das ist aber eigentlich eine gute Idee.


Grubi hat doch eine Ranch dort – wäre er nicht der perfekte Vermieter?

(lacht) Ich bin nicht so der Ranch-Typ, aber ich kann es mir ja mal anschauen…


Dein Vertrag läuft am Saisonende aus, du wirst UFA. Weißt du schon wohin die Reise gehen wird?

Ich habe noch gar nichts gehört und seit dem Trade auch noch nicht mit meinem Berater gesprochen. Bei den Wild hatte ich mir noch viele Gedanken um die Zukunft gemacht, ich wollte unbedingt bleiben. Das hat sich dann nach der All-Star-Pause geändert, denn meine Rolle wurde immer kleiner. Das Vertragsangebot von Minnesota habe ich abgelehnt. Es ging nicht ums Geld, sondern um meine Zukunft und Rolle als Eishockey-Spieler. Damit war ich nicht zufrieden. Nach dem Trade war der auslaufende Vertrag plötzlich gar kein Thema mehr für mich. Ich spiele ziemlich frei auf, mache mir keine Gedanken und versuche es zu genießen, dass ich in einer Top-Mannschaft spiele. Alles andere kommt erst nach der Saison.

Voller Einsatz für die neue Franchise

Voller Einsatz für die neue Franchise Ron Chenoy-USA TODAY Sports



Wie groß ist die Freude auf die Playoffs und was ist für die Avs drin?

Die Freude ist natürlich groß. Die letzten 15, 20 Spiele ziehen sich immer, gerade wenn man schon für die Playoffs qualifiziert ist. Es fühlt sich an, wie die längste Phase der Saison. Man will natürlich auch die Intensität hochhalten. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Hier geht es aber in jedem Spiel darum, die Form für die Playoffs zu haben. Wir freuen uns darauf. Die Atmosphäre und der Hype in den Playoffs ist nochmal was ganz anderes. Was möglich ist? Wir sind Tabellenerster in der gesamten NHL – da dürfte selbstverständlich sein, was das Ziel sein soll…





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