NHL

Nico Sturm: Ein Spätzünder startet in der NHL durch

Hinter Nico Sturm liegt das erfolgreichste Jahr seiner noch jungen NHL-Karriere. Der 26-jährige Stürmer von den Minnesota Wild sprach mit EliteProspects Rinkside über das dramatische Aus in den Stanley Cup Playoffs, seinen etwas anderen Karriereweg und warum er mal völlig fehl am Platz war.


 

Die Minnesota Wild zählten zu den Überraschungsteams der Saison 2020/21: Als Dritter der Pacific Division qualifizierte sich die Mannschaft aus dem State of Hockey für die Stanley Cup Playoffs. In der First Round zwang Minnesota die hochfavorisierten Vegas Golden Knights in ein Spiel 7. „Wir haben gezeigt, dass wir mithalten können“, blickt Sturm zurück. 

Die Wild lagen in der Best-of-7-Serie bereits mit 1:3 zurück, kamen aber noch einmal auf 3:3 heran, ehe die Knights Spiel 7 (6:2) zogen. „Ich glaube nicht, dass wir die Serie in Spiel 7 verloren haben, sondern eher in Spiel 3 und 4, die wir zu Hause verloren haben“, so Sturm. „Nachdem wir Vegas schon in Spiel 1 das Heimrecht gestohlen haben, durfte das nicht passieren. Wir hätten unsere beiden Heimspiele gewinnen müssen. In Spiel 7 haben wir dann mit Jonas Brodin schon nach fünf Minuten unseren besten Verteidiger verloren. Die Partie war bis zur Hälfte noch offen, dann haben irgendwo auch die Kräfte gefehlt, den Rückstand aufzuholen.“

 

Steile Entwicklung mit einem kurzen, aber wichtigen Knick  

Sturm selbst nahm in dieser Saison eine steile Entwicklung. In seinem ersten vollen Jahr in der NHL bestritt der Viertreihen-Stürmer 50 Spiele in der regulären Saison, schoss stolze elf Tore und gab sechs Assists. Auch in den Playoffs wusste der 26-Jährige zu überzeugen, in sieben Partien gelangen ihm ein Tor und ein Assist. Zudem wurde der gebürtige Augsburger regelmäßig im Penalty Killing eingesetzt.

Harrison Barden-USA TODAY Sports


 „Meine Rolle war schon über die Defensivarbeit definiert. Phasenweise waren wir mit Zach Parise und Nick Bonino aber fast die beste Reihe und haben gut gescort. Wenn du auch gegen die dritte oder vierte Reihe des Gegners spielst, dann erwartest du auch, die Matchups zu gewinnen und das Tor zu treffen. Das Penalty Killing war natürlich auch ein großer Faktor, der mir helfen wird, mich in der Liga zu etablieren. Es ist definitiv eine meiner Stärken.“ 

Sturms Aufstieg aber verlief nicht linear nach oben. Anfang April gingen seine Eiszeiten plötzlich zurück, ehe er kurzzeitig sogar aus der Aufstellung rotierte. „Sicherlich habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht mein bestes Eishockey gespielt und war auch noch nicht zu 100 Prozent etabliert. Da bist du dann ganz schnell draußen. In diesem Moment war das schwer zu verstehen, gerade als unerfahrener Spieler macht man sich auch Gedanken“, so Sturm, der daraufhin stärker zurückkam und unter anderem auch mit vielen Toren glänzten konnte. „Ich glaube schon, dass das eher Kopfsache ist. Wenn man so viele Spiele macht, dann kommt man in einen Trott rein. Wenn man aber mal auf der Tribüne sitzt und das Spiel von außen betrachtet, dann sieht man ein, zwei Sachen anders. Ich hatte auch die Chance, mit den Coaches über drei, vier Tage mal eine Stunde lang zu arbeiten. Das hilft einem auch weiter. Rückblickend ist das alles in Ordnung.“

 

„Ich war eigentlich völlig fehl am Platz“  

Sturms Weg in die beste Eishockey-Liga der Welt aber war alles andere als typisch. Der gebürtige Augsburger wurde nie gedraftet und gilt als Spätzünder. Ausgebildet wurde der Angreifer beim heimischen AEV sowie beim ESV Kaufbeuren. „Heutzutage gibt es andere Möglichkeiten als zu meiner Zeit damals. Aber das hat mich auch geformt, nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch. Ich bin damals mit dem Zug nach Kaufbeuren gefahren: 45 Minuten hin, 45 Minuten zurück – das bleibt hängen. Ich habe sicherlich nichts auf dem Silbertablett serviert bekommen, was mir geholfen hat, mich durchzusetzen.“

In der Saison 2013/14 wechselte Sturm dann mitten in der Saison in die USA und heuerte bei den Corpus Christi Ice Rays in der NAHL an. „Ich wollte nach meinem Schulabschluss eigentlich schon zu Saisonbeginn rüber, war zum Tryout in der NAHL, habe es aber nicht in die Mannschaft geschafft. Dann war es so, dass mein Berater unter der Saison angerufen hat, dass zwei Norweger Profiverträge in Norwegen unterschrieben haben, somit war plötzlich ein Platz frei und ich bin rübergegangen. Das war alles sehr schwer damals. Ich war ein Spieler, von dem kein Scoutingmaterial verfügbar war und war bei der U-18-WM auch noch verletzt. Ich hatte da viel meinem Berater zu verdanken, der seine Hand für mich ins Feuer gelegt hat.“

Anderthalb Jahre verbrachte Sturm in der NAHL, erst ein Halbjahr in Corpus Christi bei den Ice Rays, dann eine Saison bei den Austin Bruins (US-Bundesbundesstaat Minnesota). „Das war schon cool. Für mich war das alles ein Stück weit ein Abendteuer: Ich wollte unbedingt von zu Hause weg damals. Wir hatten in einer nagelneuen, großen Arena gespielt, vor ein paar Tausend Zuschauern. In Kaufbeuren waren nur die Eltern da, jetzt wollten plötzlich Fans Autogramme haben. Das war für mich das Größte damals und ich kam mir schon vor wie in der NHL. Es war definitiv eine coole Erfahrung“, erinnert sich Sturm, der auch Eishockey-technisch in eine völlig neue Welt eintauchte: „Die Spieler waren älter, erfahrener, haben mit Halbvisier gespielt und es gab Fights und alles. Ich war eigentlich noch völlig fehl am Platz, habe vielleicht 75 Kilogramm gewogen. Ich musste mir dann erstmal alles erarbeiten.“

 

Ein Meilenstein in Potsdam   

 Der nächste Karriereschritt sah einen Wechsel in die USHL vor, in der Sturm für die Tri-City Storm auflief. „Die USHL ist schon sehr professionell organisiert. Es war das erste Mal, dass ich mich nicht mehr selbst um Ausrüstung kümmern musste und nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung von der Familie angewiesen war. Das war schon eine coole Sache, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein Stipendium.“ 

Das änderte sich in der Folgesaison: Sturm lief drei Spielzeiten für die Clarkson University in Potsdam (US-Bundesbundesstaat New York) auf. Im dritten Jahr sogar als Kapitän. „Ich kann da nur Gutes darüber erzählen, nicht nur über das Eishockey, sondern auch über die Schule. Die Trainingsbedingungen waren super, wir hatten Trockentraining, ein Coaching Staff und alles war extrem professionell. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht, die mich auch für mein Leben geformt haben: Ich habe meine Freundin dort kennengelernt, mit der ich jetzt viereinhalb Jahre zusammen bin, habe dort beste Freunde gefunden und auch sportlich waren wir erfolgreich. Es war eine ganz spezielle Zeit.“

 

Anfänge und Durchbruch in der NHL  

In der die Wild auf den mittlerweile 1,91 Meter großen und 94 Kilogramm schweren Deutschen aufmerksam wurden. Sturm debütierte in der Saison 2018/19 in der NHL (zwei Spiele), erhielt im Folgejahr die dreifache Anzahl an Partien (sechs Spiele, zwei Assists), reifte derweil im AHL-Farmteam Iowa Wild weiter (55 Spiele, zwölf Tore, 20 Assist) und spielte in den Playoffs 2020 wieder für Minnesota, wo ihm sein erster NHL-Treffer gelang.

Seit 2020/21 ist Sturm ein fester Bestandteil der Minnesota Wild und konnte sich noch einmal steigern. Der Spätzünder ist voll in der NHL durchgestartet. „Es gibt nicht den perfekten Weg, das ist bei jedem Spieler anders. Ich war ein Spieler, der mehr Zeit gebraucht hat. Diese hatte ich: Ich bin mit 24 Jahren erst Profi geworden. Es zeigt, dass man mit 18 noch längst nicht fertig ist. Da habe ich auch noch so viel lernen müssen. Man kann sich immer entwickeln, ich lerne auch jetzt noch. Man muss auch mal aus der Komfortzone rauskommen.“

 

Vorbild Eriksson Ek – Sturm will mehr Verantwortung tragen   

In Minnesota schaut sich Sturm am meisten von seinem zwei Jahre jüngeren Mitspieler Joel Eriksson Ek ab: „Er hat so angefangen wie ich, ist eher als defensivstarker Center gesehen worden und hat sich zu einen der besten Two-Way-Mittelstürmer der Liga entwickelt. Er hat viel mehr Anerkennung und Respekt in der Liga bekommen und sich das auch verdient. Nach ihm kann ich mein Spiel formen.“ 

Sturm selbst hat ebenfalls schon mehrere Facetten von sich gezeigt: Auf der einen Seite ist er ein verlässlicher Defensivspieler, der harte Checks fahren kann, Schüsse blockt und ein gefragter Penalty Killer ist. Auf der anderen Seite wies er aber auch schon seinen Torriecher nach und trug mit wichtigen Scorerpunkten zum Erfolg der Wild bei. Wie also sieht er sich selbst? „Es ist nicht die Frage, wie man sich selbst sieht, sondern wo ein Platz für mich ist. Ich bin nicht mehr der jüngste Spieler und gerade 26 geworden. Man muss realistisch sein: Der Top-Scorer der Liga werde ich nicht mehr werden. Das ist auch okay. Man muss immer auch sehen: Wie war es vor einem Jahr? Ich möchte jetzt einfach mehr Eiszeit und Verantwortung übernehmen, das habe ich auch dem Management und dem Trainer so gesagt.“

Brace Hemmelgarn-USA TODAY Sports


 

Auf der To-Do-Liste: Das Debüt für Deutschland  

Sein Vertrag im State of Hockey läuft noch ein Jahr bis 2022. „Ich habe bereits letzte Woche mit dem Training angefangen und bin ab Juli hier in Augsburg auf dem Eis. Anfang August geht es dann schon zurück nach Minnesota, weil ich dort meinen Skating-Coach habe. Das hat mir schon letztes Jahr sehr weitergeholfen.“ Allerdings könnte es auch passieren, dass die Seattle Kraken ihre Tentakel im Expansion Draft Richtung Sturm ausfahren und sich seine Dienste für ihre Debüt-Saison sichern. „Es gibt die Möglichkeit, da ausgewählt zu werden. Wenn es so kommt, dann kommt es so, das kann ich nicht beeinflussen. Das ist Teil des Geschäfts. Auch unter der Saison kann immer ein Trade passieren. Ich würde gerne bleiben, denn ich fühle mich hier wohl. Hier ist ein Eisstadion an jeder Ecke, jeder hat schon einmal Eishockey gespielt und kennt die Wild. Die Fans sind emotional und voll involviert. Die Erwartungen werden wieder sehr hoch sein. Wir wollen weiterkommen als die erste Playoff-Runde.“

Unglaublich aber wahr: In Sturms Vita steht noch kein A-Länderspiel für Deutschland. „Im College war es ungünstig, wir hatten im Mai immer Abschlussarbeiten, da ging es nicht. Letztes Jahr war die Pandemie und dieses Jahr haben wir Playoffs gespielt. Es ist definitiv auf meiner To-Do-Liste“, versichert der Blondschopf. „Ich will sehr gerne, kann es aber nicht erzwingen, aber die Zeit wird irgendwann kommen…“



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