NHL

Marc Michaelis: „Die schwerste Zeit meiner Karriere“ – trotz NHL-Debüt

Marc Michaelis hat es geschafft: Im Alter von 25 Jahren hat der Stürmer sein NHL-Debüt für die Vancouver Canucks gegeben. Trotzdem aber spricht der gebürtige Mannheimer von der „schwersten Zeit“ seiner Karriere und erklärt im Gespräch mit EliteProspects Rinkside warum.



Vancouver gilt als eine der schönsten Städte der Welt und bietet so viele verschiedene Eindrücke: Den blauen Pazifik, grüne Park- und Waldflächen sowie die weißen Gipfel der Bergkette auf der anderen Seite der Metropole. Nicht umsonst finden sich diese drei Farben auch auf dem Trikot der Canucks wieder. In diesem gab Marc Michaelis am 5. März 2021 sein NHL-Debüt. „Ein unglaubliches Erlebnis“, blickt der 25-Jährige auf diesen Tag zurück. „Ich habe 20 Jahre im Eishockey gebraucht, um in der NHL Fuß zu fassen und mein erstes Spiel zu machen. Es war ein ganz besonderer Tag.“

Am Vorabend erfuhr Michaelis in einer SMS, dass seine Premiere bevorstehen könnte. „Die Nacht war sehr kurz“, lacht der Stürmer. „Am nächsten Tag bin ich dann in die Kabine gekommen und der Trainer hat gesagt, dass ich im Lineup stehen werde. Andere sagen, dass es sich ewig anfühlt, für mich flog die Zeit einfach vorbei. Das nächste, an was ich mich erinnern kann, ist, dass ich auf dem Eis stehe und gegen die Toronto Maple Leafs spiele. Dass keine Zuschauer da waren, hat es ein bisschen einfacher gemacht, glaube ich. Es hatte so mehr den Eindruck eines Trainingsspiels. Trotzdem ist es schade, dass ich dieses NHL-Erlebnis mit den Fans noch nicht erleben durfte. Das ist sehr schade.“

Michaelis durfte insgesamt 15-mal in der NHL ran. Seine Rolle in der Aufstellung hatte Trainer Travis Green wie folgt definiert: „Er meinte, ich soll in der Defensive nichts anbrennen lassen, backchecken, Schüsse blocken, Fehler minimieren und mir keine Turnover erlauben.“ 

BILDBYRÅN/Larry MacDougal


Ein Scorerpunkt wollte dem 1,80 Meter großen Linksschützen noch nicht gelingen. „Es ist schade, dass ich keine Punkte beitragen konnte, denn ich bin natürlich auch ein offensiver Spieler. Aber das ist Motivation für mich für die nächste Saison. Es ist noch einiges an Potenzial nach oben da“, findet Michaelis. „Ich hätte um einiges besser spielen können, mir hat aber der Spielfluss gefehlt. Ich habe zwar 15 Spiele gemacht, bin aber immer mal raus oder wieder reingekommen, so war es schwer, in einen Rhythmus zu kommen. Auch konnte ich leider nicht auf meiner Lieblingsposition als Mittelstürmer spielen. Das sollen aber alles keine Ausreden sein: Ich muss einfach besser werden, um zufrieden zu sein.“


„Die schwerste Zeit in meiner Karriere“  

Bis zu seinem NHL-Debüt aber musste Michaelis auch eine Menge Geduld mitbringen. Von der schillernden Metropole nämlich hat der Mannheimer nicht allzu viel mitbekommen. „Leider wurde uns aufgrund der Coronavirus-Pandemie der Ausgang verwehrt, sodass wir in der Stadt nichts unternehmen durften. Zum Glück war ich als 12-Jähriger schon einmal für eine Woche in Vancouver. Es ist eine wunderschöne Stadt, leider konnte ich nicht viel erleben.“

Stattdessen verbrachte Michaelis die meiste Zeit in seiner Wohnung im 19. Stock. Selbst Eiszeit war begrenzt. Als Mitglied des sogenannten „Taxi-Squad“ durfte er nicht mit den Canucks trainieren. „Das war wie eine eigene Trainingsgruppe, die aufgrund der Corona-Vorschriften nicht mit der Mannschaft in Verbindung stand, wir durften uns auch im Kabinentrakt nicht über den Weg laufen. Wir waren am Tag 45 bis 60 Minuten zusammen auf dem Eis, konnten mit fünf, sechs Spielern aber kein Spiel oder Spielsituationen simulieren. Wir waren getrennt von der Mannschaft und den Canucks-Trainern und wussten daher nicht, wo wir stehen. Wir konnten uns nur jeden Tag so vorbereiten, um bereit zu sein, falls der Anruf kommt. Über zwei Monate zu warten, war hart für die Psyche. Ehrlich gesagt, war es die schwerste Zeit in meiner Eishockey-Karriere und in meinem Leben.“

 

Corona: Der nächste Schlag in die Magengrube  

Zumal Michaelis noch viel höhere Hürden überspringen musste. Wie fast das komplette Canucks-Team infizierte auch er sich mit dem Coronavirus. „Anfang April wurde ich positiv getestet. Von einem Tag auf den anderen hieß es: zwei Wochen komplett in Isolation. Das war ein weiterer Hieb in die Magengrube. Ich hatte immerhin einen kleinen Balkon, auf dem ich viel Zeit verbracht habe. Ansonsten habe ich viel Fernsehen geschaut, gelesen und mit der Familie und Freunden telefoniert. Trotzdem wird es irgendwann ekelhaft, weil man sich nicht mehr ablenken kann.“

Die Infektion mit dem Coronavirus überstand der 25-Jährige unbeschadet: „Ich habe mir in Deutschland nochmal eine Zweitmeinung geholt und mich von einem Kardiologen durchchecken lassen“, so Michaelis, der in diesen Tagen zurück in seiner Geburtsstadt Mannheim ist. 

 

Ausbildung mit Draisaitl und Kahun  

Von dort aus startete der Stürmer seine Eishockey-Karriere, wurde jahrelang bei den Jungadlern Mannheim ausgebildet und sammelte unter anderem in einer Reihe mit Leon Draisaitl und Dominik Kahun fleißig Scorerpunkte. „Da muss ich ehrlich sagen, das hat viel mit Domme und Leon zu tun. Bei meinen 70 Punkten habe ich in 90 Prozent der Fälle dem Leon die Scheibe zugespielt“, lacht Michaelis. „Das Jahr darauf habe ich dann in einer eigenen Reihe gespielt, im Training aber immer gegen die beiden spielen müssen. Schon damals konnten sie dich richtig schlecht aussehen lassen. Ich konnte also sowohl offensiv als auch defensiv viel von den beiden lernen. Ohne sie hätte ich es wohl nicht geschafft, in Nordamerika Fuß zu fassen.“

Ganz besonders waren daher die drei Aufeinandertreffen mit den Oilers auf NHL-Eis. „Nach so vielen Jahren zum ersten Mal wieder gegen die beiden zu spielen, war surreal, unglaublich. Gerade gegen Domme. Wir haben mit 13 Jahren angefangen zusammen zu spielen, waren vielleicht 1,45 Meter groß und haben 40 Kilogramm gewogen. Dann treffen wir uns zehn Jahre später in der NHL. Auch das mit Leon, der für mich zu den drei besten NHL-Spielern zählt, war cool. Es gibt auch ein Bild von uns Dreien vor dem ersten Spiel. Das habe ich mir ausgedruckt und in meine Wohnung gehängt.“



Zu klein für die CHL: Michaelis‘ etwas anderer Weg  

Anders als seine Kumpels Draisaitl (Prince Albert Raiders, WHL) und Kahun (Sudbury Wolves, OHL) aber ging Michaelis einen anderen Weg. Seine Stationen hießen Minnesota Magicians (NAHL), Green Bay Gamblers (USHL) und dann auch am College an der Minnesota State Universität (NCAA). „Als ich 18 war, war ich körperlich und spielerisch noch nicht bereit: Ich war zu schmal und klein, um in der CHL spielen zu können. Ich brauchte also noch ein paar Extra-Jahre“, erklärt Michaelis den damals eingeschlagenen Weg. „Damals ist Frederik Tiffels in die USA gewechselt und ich habe es aus der Ferne betrachtet, dass er sich gut geschlagen hat. Ich dachte mir, dass das ein Schritt ist, den ich auch gehen möchte. Es war die richtige Entscheidung.“

Warum? „Als junger Spieler brauchst du viel Eiszeit, musst Über- und Unterzahl spielen. Ich würde nahelegen, auch diesen Weg einzuschlagen.“ Zumal Michaelis auch als Mensch reifte: „Es war etwas komplett Anderes als bei Mama und Papa zu Hause zu wohnen und 20 Minuten entfernt Hockey zu spielen. Plötzlich war da ein neues Land, eine neue Sprache, die ich außerhalb der Schule nie gesprochen habe und eine kleinere Eisfläche. Das war eine Riesenumstellung, aber auch eine sehr schöne Zeit. Ich würde sagen, dass ich abseits des Eises sogar mehr gelernt habe und ich mich als Person weiterentwickeln konnte.“

 

Kurios: Immer eine deutsche Bezugsperson  

Fernab von der Heimat aber hatte Michaelis kurioserweise bei jedem Team einen deutschen Mitstreiter: Lukas Laub und Denis Shevyrin bei den Minnesota Magicians, Kevin Reich bei den den Green Bay Gamblers sowie Parker Tuomie und Julian Napravnik an der Minnesota State.

„Ich war sehr glücklich immer jemanden zu haben, mit dem ich deutsch reden und mich austauschen konnte“, lacht Michaelis. „Das hat enorm weitergeholfen, gerade am Anfang, als ich die Sprache noch nicht beherrscht habe, haben mir Lukas und Denis geholfen und mir auch viel vom Leben außerhalb der Eisfläche gezeigt. In Vancouver war mein erstes Jahr ohne einen Deutschen an meiner Seite, was komisch war. Es gab zwar noch Sven Bärtschi als Schweizer, doch der hat in Utica (AHL-Farmteam Utica Comets) gespielt.“

Bei den Canucks war es in Zeiten des Coronavirus dann schwer, neue Bezugspersonen aufzubauen. Am meisten konnte sich Michaelis etwas von den Mittelstürmer-Kollegen abschauen. „Von Elias Pettersson und Bo Horvat konnte ich mir einiges abgucken. Am meisten von Horvat: Wie er spielt, auch wenn er die Scheibe nicht hat, wie er sich fürs Training und Spiel vorbereitet, eben alle diese kleinen Aspekte.“


Voller Fokus auf die NHL  

Ab Sommer möchte Michaelis nicht nur die Kontakte intensivieren, sondern auch voll in der NHL durchstarten. „Wir befinden uns gerade in Vertragsverhandlungen“, berichtet Michaelis, dessen Kontrakt ausgelaufen ist. „Ich möchte diese Erfahrung, vor Fans und überall in den USA und Kanada zu spielen, unbedingt erleben.“

Gedanken an eine Rückkehr zu den Adlern hegt der 25-Jährige noch nicht: „Die NHL steht im Vordergrund. Wenn der Weg dann durch die AHL führt, dann muss es so sein.“ Das Sommertraining absolviert Michaelis trotzdem in seiner Geburtsstadt Mannheim. Das Eistraining konnte er allerdings noch nicht aufnehmen. „Meine Eishockeysachen hängen leider noch beim Zoll fest, das wird also noch ein paar Tage dauern. Ich werde mich fit halten und mich auf die Training Camps vorbereiten – egal wohin mein Weg mich dann führen wird…“



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