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Kommentar: Deutschland ist in der Weltspitze angekommen

Das deutsche Eishockey ist auf einem sehr guten Weg. Einen weiteren Entwicklungsschritt präsentierte Deutschland bei der Eishockey WM 2021 in Lettland. Ein Turnier, bei dem die Nationalmannschaft mit einem unglaublichen Teamgeist ein Millionenpublikum emotionalisieren und euphorisieren konnte. Ein Kommentar von EliteProspects Rinkside-Redakteur Christian Rupp…



Am Ende landeten die üblichen Verdächtigen auf dem „Stockerl“: Kanada holte Gold, Finnland Silber und die USA Bronze. Doch bot die WM 2021 in der lettischen Hauptstadt Riga abgesehen davon auch sehr viele Überraschungen: So schied Schweden bereits in der Vorrunde aus, ein junger Brite namens Liam Kirk war Top-Torjäger in der Gruppenphase, Aufsteiger Kasachstan bot vielen Favoriten Paroli und die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft landete auf Platz 4!

Vor dem Turnier hatten Trainer, Verantwortliche und Spieler unisono betont, mit der Weltspitze mithalten zu wollen. Dieses Ziel darf als erreicht angesehen werden. Deutschland kletterte in der Eishockey-Weltrangliste von Rang sieben auf Platz 5. Zum Vergleich: Im Fußball belegt unsere „Fußball-Nation“ nur Rang zwölf.


Auf Augenhöhe mit der Weltspitze  

Dass die DEB-Mannschaft in der Gruppenphase mit allen Top-Nationen mithalten konnte, zeigte sich schon in der Gruppenphase. Die Spiele gegen Finnland (1:2) und die USA (0:2) gingen knapp verloren, den späteren Weltmeister Kanada konnte man sogar schlagen (3:1). Auch in der K.o.-Phase präsentierte sich die DEB-Mannschaft voll auf Augenhöhe, rang im Achtelfinale die Schweiz nieder (3:2 n.P.) und war im Halbfinale gegen Finnland sogar die bessere Mannschaft, scheiterte am Ende aber knapp wie dramatisch (1:2).

Dass die Euphorie-Welle, von der das Team von Toni Söderholm getragen wurde, im Spiel um Platz 3 (1:6 gegen die USA) dann an Wucht verloren hatte, ist nur allzu verständlich. Dieser letzte Eindruck wird aber nicht dem gerecht, wie sich Deutschland bei dieser Weltmeisterschaft präsentierte: In Sachen Physis, Tempo und Laufstärke konnten die Deutschen voll mithalten, waren schlittschuhläuferisch teils sogar überlegen. Das letzte Puzzlestück, was zum Edelmetall wohl noch gefehlt hatte, war eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Effektivität.


Eine steile Entwicklung im deutschen Eishockey  

Ein Spieler, der genau diese Extraklasse verkörpern könnte, ist Leon Draisaitl, der nicht bei diesem Turnier dabei war. Das deutsche Eishockey hat sich längst auch in der NHL einen Namen gemacht und international für Aufsehen gesorgt: Draisaitl wurde Top-Scorer und doppelter MVP in 2019/20. In der laufenden Saison 2020/21 spielten neun Deutsche in der besten Eishockey-Liga der Welt, Torwart Philipp Grubauer aktuell sogar noch um den Stanley Cup.

Doch nicht nur in der Spitze, sondern auch in der Breite ist eine rasante Entwicklung nicht von der Hand zu weisen: Nach Riga schickte der DEB auch ohne Draisaitl die vielleicht offensivstärkste Nationalmannschaft aller Zeiten. DEL-Stürmer wie Marcel NoebelsMarkus Eisenschmid oder Matthias Plachta rissen das Spiel stets an sich. Junge Talente wie Lukas Reichel oder John Peterka (beide 19) impften dem Team Unbekümmertheit und Schnelligkeit ein. Mit Moritz Seider und Korbinian Holzer wurden gleich zwei Deutsche von internationalen Sportjournalisten ins „Team des Turniers“ gewählt. Der 20-jährige Seider wurde gar „Verteidiger der WM“, zeigte einen unglaublichen Entwicklungssprung, insbesondere in Sachen Physis, Ruhe und Übersicht, und dürfte 2021/22 in der NHL bei den Detroit Red Wings durchstarten. Mit Holzer darf sich die DEL und insbesondere die Adler Mannheim auf einen besonderen Spieler und noch außergewöhnlicheren Charakter freuen.


Der Star ist die Mannschaft  

Doch Team Deutschland lebte bei weiten nicht nur von seiner individuellen Klasse, sondern insbesondere von seinem unglaublichen Teamgeist, was bei einer WM in Pandemiezeiten, sprich auf dem Einzelzimmer, keine Selbstverständlichkeit ist. Wie eng diese Mannschaft ist, zeigte sich beim Heißmachen vor den Spielen, beim Singen der Nationalhymne nach den Spielen und auch währenddessen auf der Bank, wo sich immer wieder abgeklatscht, motiviert und angefeuert wurde.

Hinzu kommt, dass sich auch kein Spieler zu schade war, sich in Schüsse zu werfen. Auch nicht NHL-Export Tobias Rieder oder der zweitfache Stanley-Cup-Champion Tom Kühnhackl, die den schmerzhaften Preis eines Blocks genauso bereitwillig zahlten, wie ihre Teamkollegen. Kapitän Moritz Müller, der mit seinen Freudentränen nach dem Sieg gegen die Schweiz von seinen Gefühlen übermannt wurde und vor Stolz Freudentränen weinte, blockte trotz eines 0:4-Rückstands im kleinen Finale gegen die USA noch zwei Schüsse, die ihn dann außer Gefecht setzen sollten.

Der Star dieses Teams war ohne Zweifel die Mannschaft. Mit der gezeigten Hingabe, Leidenschaft und Emotionalität steckte die Nationalmannschaft auch ein Millionenpublikum vor dem Fernseher an und dürfte wie schon nach dem vierten Platz bei der Heim-WM 2010 eine Eishockey-Euphorie in Deutschland entfachen.


Nach der WM ist vor der WM  

Die Weltmeisterschaft 2022 wird in Finnland ausgetragen. In der Gruppe A mit Kanada, Russland, Schweiz, Slowakei, Dänemark, Kasachstan und Italien zählt Deutschland nicht mehr zu den Außenseitern. Es dürfte spannend zu beobachten sein, welchen Entwicklungsschritt das deutsche Eishockey bis dahin gegangen sein wird. Eine Halbfinal-Teilnahme wäre freilich auch im nächsten Jahr eine große Überraschung. Gar utopisch aber scheint der Traum einer WM-Medaille nicht mehr zu sein…



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