DEL

Senkrechtstarter Julius Karrer: Bei Anruf Karriere-Boost

Für Julius Karrer ging es in der Saison 2020/21 nur in eine Richtung: steil nach oben! Der Verteidiger begann in der DEL2, avancierte zur Stammkraft in der DEL und wurde auch noch deutscher Nationalspieler.



Bei Anruf Karriere-Aufschwung? Dieses Phänomen erlebte Karrer im zurückliegenden Jahr. „Man könnte es fast so meinen“, grinst der 20-jährige Verteidiger. „Jeder Anruf, der von einem Offiziellen kam, war ein Call-up nach oben.“ Doch der Reihe nach…


Fünf-Sterne-Programm in der Heimat- und Geburtsstadt  

Karrer ist gebürtiger Berliner und wurde jahrelang bei den Eisbären Juniors ausgebildet. „Wenn man das Glück hat, 13 oder 14 Jahre alle Nachwuchsstufen mit seinen Kindheitsfreuden zu durchlaufen, super Trainingsmöglichkeiten hat, neue Krafträume, zwei Eisflächen, gut ausgebildete Trainer, Meisterschaften und Turniere spielt und am Ende auch die Möglichkeit bekommt, im Training bei den Profis reinzuschnuppern, dann war das ein Fünf-Sterne-Programm für mich“, blickt Karrer mit guten Erinnerungen zurück. „Es war sogar alles vor der eigenen Haustüre: Ich wohne nicht weit vom Sportforum entfernt. Das war natürlich optimal und hat meiner Entwicklung sehr geholfen.“

Anders als viele andere Talente startete Karrer aber nicht direkt in der DEL durch, sondern ging den „Umweg“ über die Lausitzer Füchse in der DEL2 sowie die Crocodiles Hamburg in der Oberliga Nord. „Ich hätte damals auch lieber in Berlin in der DEL unterschrieben. Damals konnte man mit mir aber nicht viel anfangen. Ich war vor zwei Jahren noch nicht so weit wie andere in meinem Jahrgang, die schon Jugend-WMs gespielt hatten. Ich war also ein wenig außen vor. Deswegen kam von den Eisbären leider keine wirkliche Rückmeldung und ich musste meine Sachen packen und gucken, wo ich ein Angebot bekomme. Diese Zeit in Weißwasser und in Hamburg war riesig für mich. Ich konnte mein Spiel und meine Athletik verbessern und habe mich in den Fokus anderer Klubs gespielt.“


Der erste Anruf aus Nürnberg  

Der Schritt führte Karrer zunächst ins Büro von Sven Felski. „Er hat mich gefragt, was ich nach dem Abi vorhabe. Ich habe gesagt, dass ich es mir nicht verzeihen könnte, es mit Profi-Eishockey zu versuchen. Also wollte er seine Kontakte nutzen, Werbung in meinem Namen machen und meine Telefonnummer verstreuen. Ich war einverstanden. Danach war es zwei, drei Monate ruhig.“

Dann aber klingelte plötzlich das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: DEL-Klub Nürnberg Ice Tigers. „Irgendwann im Sommer, als ich bei der U-20-Nationalmannschaft im Vorbereitungscamp in Berlin war und vom Eis gekommen bin, kam der Anruf des damaligen Sportdirektors André Dietzsch. Er sagte, dass aufgrund der Verletzung eines anderen Spielers ein Platz im Sommertrainingslager freigeworden ist. Ich bin also eingesprungen und habe anscheinend einen guten Eindruck hinterlassen. Rund um Weihnachten und dem Jahreswechsel ist es dann ernster geworden und wir sind zu einem Vertrag gekommen. Für mich war das optimal.“

Karrer begann die Saison aber nicht in der DEL bei den Ice Tigers, sondern beim Kooperationspartner Bayreuth Tigers in der DEL2. „Ich war noch kein Anwärter auf einen Platz in der DEL. Für mich war das eine super Entwicklungsmöglichkeit“, relativiert der Verteidiger erfrischend ehrlich. „So war der Plan: Im ersten Jahr sollte ich mich in Bayreuth weiterentwickeln, im zweiten Jahr dann einen 50:50-Mix aus DEL und DEL2 spielen und dann im dritten Jahr fest in Nürnberg sein.“


Der zweite Anruf aus Nürnberg  

Aus diesem Plan aber wurde nichts. Nach 20 Spielen für Bayreuth (zwei Tore, vier Assists) klingelte erneut das Telefon: der nächste Anruf aus Nürnberg. „Es war ein kleiner Schock“, berichtet Karrer. „Andre Dietzsch war dran. Ich dachte, es ginge um eine Auswertung meiner Leistung, was man mit dem Sportdirektor halt so macht. Er hat aber gesagt, dass sie einen Verteidiger brauchen würden. Ich sollte meine Sachen packen und nach Nürnberg kommen. Es war unglaublich. Ich habe gepackt, bin nach Nürnberg gefahren und habe am Donnerstag darauf mein erstes DEL-Spiel gegen Straubing gemacht.“

Es sollten bis zum Saisonende noch weitere 28 Partien in der DEL folgen, weil der 1,92 Meter große Abwehrmann sich nahtlos einfügte, mit seinem fehlerfreien und geradlinigen Spiel vollends überzeugte und nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken war. „Ich habe versucht, mir selbst zu erklären, dass ich nichts verlieren, sondern nur gewinnen kann. Ich hatte Welpenschutz, konnte also ohne Druck befreit aufspielen. Ich wollte nicht zu viel versuchen und der Mannschaft damit schaden. Als Verteidiger bin ich erstmal dazu da, Tore zu verhindern. Also habe ich einfache Pässe gespielt, Schüsse geblockt, sicher hinten rausgespielt. Das war mir lieber, als mich im Nachhinein entschuldigen zu müssen.“


Ein neuer Puck für den Eishockey-Schrein im Kinderzimmer  

Doch auch mit dem Toreschießen sollte es bald klappen: Beim 7:3-Heimsieg gegen die Iserlohn Roosters gelang Karrer nicht nur das erste DEL-Tor, sondern auch gleich ein Doppelpack. „Ich hatte schon zuvor gute Chancen, aber auch ein bisschen Pech, dass die Scheibe nicht reinwollte und nicht über die Linie gekullert ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten in der Liga viele ihr erstes Tor geschossen, das wollte ich auch. Eigentlich sollte es ein Pass werden, aber der Puck ist dann über ein, zwei Schlittschuhe im Tor gelandet“, erinnert sich Karrer. „Da fällt eine Last ab, es war eine Riesenfreude, weil ich auch noch ein zweites Tor nachlegen konnte. Dass ich das letzte Mal zwei Tore geschossen hatte, war fünf, sechs Jahre her, irgendwann im Nachwuchs. Der Puck kommt zu mir nach Hause ins Kinderzimmer. Ich habe einen kleinen Eishockey-Schrein, wo schon ein paar Bilder, Trophäen und Trikots hängen.“

BILDBYRÅN/Zink


Höhepunkte waren natürlich auch die beiden Aufeinandertreffen mit den Eisbären Berlin. „Vor allem, weil ich gegen Spieler wie Eric MikNino KinderTobias Ancicka oder Lukas Reichel gespielt habe, mit denen ich in Berlin vor drei Jahren noch das gleiche Trikot trug. Wir haben uns sehr auf die Duelle gefreut und uns im Vorfeld ein paar Nachrichten geschickt“, so Karrer. „Hoffentlich kommen in den nächsten Jahren noch ein paar Aufeinandertreffen hinzu.“


Toni Söderholm am Telefon  

Davon ist auszugehen, denn die Ice Tigers planen fest mit dem 20-jährigen Verteidiger. Sich selbst sieht der Linksschütze als Zwei-Wege-Verteidiger: „Mit meiner Größe und Statur könnte ich auch ein Defensivverteidiger sein, aber dadurch, dass das Eishockey immer schneller wird und sich auch alle Verteidiger mit nach vorne einschalten, reicht das nicht mehr. Ich muss in Zukunft also mehr zu meinem Offensivspiel finden, die Entwicklung sollte dahin gehen: hinten sicher stehen und dann nach vorne gucken.“

Bleibenden Eindruck hat Karrer aber nicht nur in der Frankenmetropole hinterlassen, sondern auch deutschlandweit. So war der 20-Jährige unter den Nominierten für den „Rookie des Jahres“ in der DEL. Zudem musste bzw. durfte der Senkrechtstarter erneut telefonieren – dieses Mal mit Bundestrainer Toni Söderholm.

„Erst kam der Anruf von unserem Sportdirektor Stefan Ustorf. Er sagte, dass ich bitte mal den Toni Söderholm anrufen soll. Das Gespräch war kurz und knapp. Sie hatten einen Verletzten, also wurde ich gefragt, ob ich ins Teamhotel kommen und einen PCR-Test machen könnte. Ich konnte. Also saß ich am Freitagfrüh plötzlich zum Pre-Game-Skate in der Kabine und danach im Bus in die Slowakei.“


Plötzlich Nationalspieler  

Dort wurde Karrer zum deutschen Nationalspieler. „Ich wurde relativ ins kalte Wasser geschmissen, aber auch super aufgenommen. Ich habe mich mit den anderen Mitspielern super verstanden und hatte das Glück, mit Oliver Mebus in einer Reihe spielen zu können. In der Nacht vor dem Spiel war ich schon aufgeregt, habe schlecht geschlafen, bin oft aufgewacht. Diese Nervosität hatte ich auch vor dem ersten DEL2- und DEL-Spiel. Ich bin einfach noch zu jung und unerfahren, dass mich so etwas kaltlassen würde. Es wird noch dauern, bis ich das verarbeitet habe. Den Adler auf der Brust zu tragen ist eine Riesenehre und ein großer Meilenstein. Es macht Bock auf mehr…“ 

Auch weil sich die DEB-Auswahl ausgerechnet in Nürnberg auf die WM vorbereitet, bleibt Karrer weiterhin im Dunstkreis der Nationalmannschaft. „Ich denke, es ist zu 50 Prozent, weil ich hier in Nürnberg wohne und zu 50 Prozent auch meine Leistung. Wir sind so verblieben, dass ich weiterhin auf Abruf bleibe, das ist schonmal nicht schlecht. Es ist nur ein PCR-Test und ich bin zurück in der Bubble. Natürlich kommen noch ein paar super-talentierte und erfahrene Spieler hinzu.“


Ruft bald auch die NHL an?  

Bei so vielen Anrufen mit dazugehörigen Karriere-Schritten bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Wann meldet sich die NHL?

„Hoffen und träumen darf man immer. Es wäre ein Traum, es drüben zu probieren. Man muss aber realistisch sein: Ich hätte schon vor zwei, drei Jahren weiter sein müssen. Ich habe noch einen langen Weg vor mir. Auch DEL-Spieler zu sein ist eine Leistung – damit bin ich glücklich und zufrieden. Ich werde erstmal noch den Reservisten in Nürnberg geben, dann meine sieben Sachen packen und Heimaturlaub machen, um bei meiner Mama etwas die Füße hochzulegen.“

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