Leon Gawanke: Eishockey-Begeisterung bei -40°C
In der AHL kämpft der Verteidiger Leon Gawanke bei den Manitoba Moose für einen Platz in der NHL und in der deutschen Nationalmannschaft. Mit EliteProspects Rinkside sprach der 21-jährige Berliner über seinen verzögerten Draft, einen erfüllten Lebenstraum und das Leben im „Eisschrank“ Winnipeg.
Die Geschichte von Leon Gawanke beginnt in Berlin. Der Verteidiger wurde am 31. Mai 1999 in der deutschen Hauptstadt geboren und über Jahre bei den Eisbären Juniors ausgebildet. Doch es brauchte eine globale Pandemie und bis zum 13. November 2020, ehe er erstmals für seinen Heimatklub in der DEL auflief. Weil die AHL aufgrund des Coronavirus erst stark verspätet in die Saison startete, fädelte Berlin ein Leihgeschäft ein.
„Es war unglaublich und hat mir sehr viel Spaß gemacht“, blickt Gawanke zurück. „Es ist ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung gegangen. Schon als Kind war ich bei den Eisbären, mein Vater hat mich damals zu den Spielen mitgenommen und seitdem bin ich großer Eisbären-Fan. Mein Ziel war immer, einmal für die Eisbären Berlin in der DEL zu spielen.“
Ein verzögerter Draft
Gawanke steht eigentlich bei NHL-Klub Winnipeg Jets unter Vertrag, von dem er im Jahr 2017 in der 5. Runde an 136. Stelle graftet wurde. Sofort kommen einem Bilder von den Draft-Partys von Tim Stützle (1. Runde, 3. Stelle, Ottawa Senators) oder Lukas Reichel (1. Runde, 17. Stelle, Chicago Blackhawks) im Herbst 2020 in den Kopf. Bei Gawanke war es damals ein wenig anders: „Es war nicht mal annähernd so“, lacht der 21-Jährige. „An meinem Draft-Tag war ich auf einem Geburtstag von meinem Kumpel, weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt gedraftet werden würde. Wir haben am Abend den Draft-Stream geguckt. Da dieser leider etwas verzögert war, hat mich mein Spieleberater schon zwei Picks davor angerufen und es mir gesagt. In der Zwischenzeit hatten dann auch die Jungs in der Küche geschrien. Das kann man nicht beschreiben, wie man sich innerlich fühlt. Es war mit Sicherheit genauso überwältigend wie bei Luki, Stützle oder Peterka.“
Dass es die Winnipeg Jets waren, die sich seine Rechte sicherten, war Gawanke sehr Recht: „Ich war glücklich, dass ich überhaupt gedraftet wurde, aber umso mehr, weil ich in Kanada bleiben konnte. Es gibt natürlich wärmere Orte, aber fürs Eishockeyspielen ist Winnipeg schon ein sehr guter Standort. Sie haben mit die lautesten Fans in der Liga.“
Abenteuer QMJHL: „Ich habe diesen Schritt nie bereut“
Doch schon bis zu diesem Moment hatte Gawanke viel in seine noch junge Eishockey-Karriere investiert. 2016 wechselte er in die kanadische Juniorenliga QMJHL zu den Cape Breton Screaming Eagles. „Die Umstellung war natürlich ziemlich groß. Man kommt in die beste Jugendliga der Welt, wo teils schon von der NHL gedraftete Top-Prospects spielen und du kommst da aus der DNL rein. Das Spiel war schneller, die Eisfläche kleiner, ich hatte viel weniger Zeit. Damals habe ich mich aber ganz gut daran gewöhnen können und habe den Schritt nie bereut.“
Hinzu kamen auch Herausforderungen abseits der Eisfläche. Immerhin war der Teenager plötzlich weit weg von zu Hause, in einem komplett neuen Umfeld und einer anderen Sprache. „Ich hatte viel Glück, dass ich in Cape Braton noch in einen englischsprachigen Teil gekommen bin, und mein Englisch war jetzt nicht so schlecht“, erinnert sich Gawanke. „Es ist auf jeden Fall nicht einfach, wenn man mit 16, 17 Jahren von zu Hause weg und da rübergeht. Da muss man aber durch. Das hilft einem auch für das weitere Leben.“
In Quebec aber hatte der Rechtsschütze scheinbar kaum Anlaufschwierigkeiten und startete mit je 32 Scorerpunkten in seinen ersten beiden Spielzeiten voll durch. „Ich habe ein paar Spiele gebraucht, um mich anzupassen, bin aber damals gut reingekommen. Ich hatte Glück, dass ich super Mitspieler hatte, die Coaches auf mich gesetzt haben und ich einen kleinen Ausländer-Bonus hatte und dadurch nicht oft aussetzen musste. Ich denke, ich habe das mit Leistung zurückgezahlt.“
Sprung in die AHL
In seiner dritten und letzten Saison in Cape Breton stach der Verteidiger mit einer 17-40-57-Bilanz als drittbester Scorer der Screaming Eagles heraus. Also spielte er in der Folgesaison 2019/20 Männereishockey in der AHL bei den Manitoba Moose. „Das war der nächste große Schritt“, so Gawanke. „Vom Jugend- ins Profi-Eishockey ist es nie einfach, egal ob von der DNL in die DEL oder von der QMJHL in die AHL. Die Leute sind einfach älter, das merkt man physisch und mental. Davon sollte man sich aber nicht zu sehr beeindrucken lassen.“
Der 1,86 Meter große und 90 Kilogramm schwere Abwehrspieler wirkte unbeeindruckt und produzierte einfach weiter: In seiner ersten AHL-Saison gelangen ihm 26 Scorerpunkte (vier Tore, 22 Assists). „Ich will natürlich Tore schießen und Punkte machen“, betont Gawanke. „Ich würde mich als offensiven, Puck-moving Verteidiger beschreiben. Meine Stärken liegen schon seit klein auf in der Offensive. In den letzten Jahren war mein Problem, dass ich in der Defensive deutlich besser werden musste. Daran arbeite ich jetzt schon seit mehreren Jahren und fokussiere mich darauf.“
In seinem zweiten AHL-Jahr sieht sich der Blueliner sehr selbstkritisch: „Nach dem letzten Jahr hatte ich und auch so manch anderer höhere Erwartungen an mich. Es gibt immer wieder so Jahre, in denen es mal stockt. So fühle ich mich dieses Jahr“, sagt Gawanke angesichts von einem Tor und fünf Assists in bislang 21 Spielen. „Persönlich läuft es vielleicht nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber ich bin glücklich, dass wir überhaupt spielen, ich hier regelmäßig trainieren und mich weiterentwickeln kann.“
Ein Anruf von Toni
Dabei zeigt die Entwicklung des 21-jährigen Talents klar nach oben: So erfüllte er sich im Jahr 2020 nicht nur dem Traum von DEL-Eishockey bei den Eisbären (sechs Spiele, zwei Assists), sondern auch den von der deutschen Nationalmannschaft: „Das war auf jeden Fall eine Riesenehre, ein sehr schönes Gefühl und eine Sache, auf die man von klein auf hinarbeitet. Das nächste Ziel ist, eine Weltmeisterschaft zu spielen und im Hinblick auf Olympia mich gut weiterzuentwickeln, damit ich den Anruf von Toni kriege.“
BILDBYRÅN/Revierfoto
Ob sich Bundestrainer Toni Söderholm + zwecks eine WM-Teilnahme schon gemeldet hat? „Ich habe mit ihm schon gesprochen“, verrät Gawanke. „Wir müssen klären, ob ich früher gehen darf und wie das mit der Quarantäne ist. Ich will auf jeden Fall spielen. Wir haben dieses Jahr keine Playoffs, es geht um nichts, da wäre es super, wenn ich einen Wettbewerb hätte, bei dem es um etwas geht.“
Die Connection mit den Reichels
In der AHL fallen in dieser Corona-Saison nicht nur die Playoffs aus, es wird auch nur gruppenintern gespielt. So begegnen die Manitoba Moose mit den Laval Rocket, den Toronto Marlies, den Belleville Senators und Stockton Heat immer wieder denselben vier Teams. Die Heimspiele tragen die Moose wie auch die Jets im Bell MTS Place in Winnipeg aus. „Wir sind hier in der gleichen Stadt und in derselben Halle. Unsere Trainer arbeiten für die Jets, ich mache also Video-Analysen mit dem Verteidiger-Trainer der Moose, der sich dann mit den Trainern der Jets austauscht und sich erkundigt, was sie erwarten.“
Bei den Moose spielt Gawanke in einer Mannschaft mit einem gewissen Kristian Reichel, dem Cousin des deutschen Top-Talents Lukas Reichel. „Ich kannte Kristian schon vor Luki. Ich habe ihn direkt in meinem ersten Development Camp kennengelernt“, plaudert Gawanke aus dem Nähkästchen. „Als erstes kannte ich eigentlich Lukis Bruder Thomas. Wir hatten also sofort eine Connection. Das sind drei Super-Jungs und Freunde, mit denen ich mich super verstehe.“
Standort Winnipeg: Eisige Temperaturen, feurige Leidenschaft
Doch nicht nur deshalb fühlt sich Gawanke in Manitoba pudelwohl. „Eishockey in Winnipeg ist wahrscheinlich noch größer als in Alberta oder Ontario. Wir haben hier drei professionelle Eishockey-Teams in einer Stadt. Da kommen Fans zu uns, den Jets oder zum WHL-Team Winnipeg Ice. Das zeigt, wie Eishockey-verrückt die Leute hier sind. Sie lieben Eishockey, die Spiele der Jets sind immer ausverkauft. Man muss nur mal rausgehen und auf die Nummernschilder der Autos schauen: Überall ist da ein Jets-Zeichen drauf. Durch solche Sachen sieht man, welchen Stellenwert der Sport hier hat.“
Vor allem gegnerische Spieler aber äußern sich nicht nur positiv über diesen Standort. Die 700.000-Einwohner-Stadt sei zu klein, unattraktiv und abgeschieden – die Temperaturen unerträglich kalt. „Ich glaube, dass es kein Spaß für eine Auswärtsmannschaft ist, hierherzukommen, wenn es -40 Grad hat“, lacht Gawanke. „Wir sind ehrlich gesagt auch glücklich, wenn wir mal in Texas aussteigen und es hat +30 Grad. Man gewöhnt sich aber daran und vermeidet lange Wege draußen.“
In den Playoffs zählt Winnipeg übrigens zu den spektakulärsten und feurigsten Spielstätten: Durch die kleine, enge Halle ist es sehr laut, dazu erscheinen die Fans alle komplett in Weiß und sorgten so für den „Whiteout“-Effekt. „Sie spielen eine gute Saison“, findet Gawanke. „Sie sind Dritter, werden wohl auf Edmonton treffen, was nicht leicht ist. Sie haben schon seit mehreren Jahren gezeigt, dass sie eine Top-Mannschaft in der NHL sind. Ich glaube, dass bald der Punkt kommen wird, an dem sie es weit schaffen. Ich hoffe natürlich, dass sie irgendwann auch mal den Stanley Cup gewinnen können.“
Der NHL-Traum lebt
Vielleicht dann mit Gawanke in der Aufstellung? „Man muss natürlich realistisch bleiben und gucken, wie die Chancen stehen. Ich will das Jahr noch ordentlich zu Ende bringen, jeden Tag hart arbeiten und in den letzten Spielen gut aussehen. Wenn ich bei der WM dabei bin, will ich auch da gut performen und ein gutes Gefühl mit in den Sommer nehmen. Dann gilt es, mich gut vorbereiten und in meinem letzten Vertragsjahr noch einmal voll angreifen, damit ich einen neuen Vertrag bekomme. Der NHL-Traum ist aber genauso intensiv wie an dem Tag, an dem ich gedraftet wurde.“