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Toni Söderholm: „Dustys Zeit wird kommen“

Am 10. Februar 2022 startet Deutschland in das Olympische Eishockey-Turnier in Peking. Elite Prospects Rinkside hat sich vor der Abreise mit Bundestrainer Toni Söderholm über fehlende NHL-Stars, die Personalie Dustin Strahlmeier und seine Zukunft beim DEB unterhalten.



Toni Söderholm musste im Vorfeld der Olympischen Spiele 2022 zweigleisig planen: Die NHL hatte eigentlich zugesagt, Spieler für Olympia abzustellen, doch machte die beste Eishockey-Liga der Welt aufgrund der Coronavirus-Pandemie eine Rolle rückwärts und gab kurz vor Weihnachten bekannt, nun doch keine Spieler abzustellen.

„Im ersten Moment hat es mir schon ein bisschen die Luft geraubt“, sagte Söderholm im Gespräch mit Elite Prospects Rinkside. „Ich hätte lieber ein Turnier mit den besten Spielern gesehen. Wobei ich auch sagen muss, dass trotzdem sehr viele gute Spieler dabei sind. Der Unterschied zwischen NHL- und KHL-Spielern ist nicht riesig. Viele Olympia-Fahrer könnten auch in der NHL spielen. Außerdem sind ohnehin viele ehemalige und vielleicht auch zukünftige NHL-Spieler mit dabei.“


Olympia ohne Draisaitl, Seider & Co.  

Für Deutschland bedeutete das, ohne Stars wie Leon Draisaitl (Edmonton Oilers), Tim Stützle (Ottawa Senators), Nico Sturm (Minnesota Wild), Moritz Seider (Detroit Red Wings) oder Philipp Grubauer (Seattle Kraken) auskommen zu müssen. Auch AHL-Talente wie Lukas Reichel (Rockford IceHogs), John Peterka (Rochester Americans) oder Leon Gawanke (Manitoba Moose) standen nicht zur Verfügung. Nun mag der prozentuale Anteil an NHL-Spielern bei anderen Nationen wie Kanada oder den USA bedeutend größer sein. Einen Vorteil für die deutsche Auswahl sieht Söderholm darin aber nicht: „Was hätte man mit einem Vorteil erreicht? Nichts! Als Trainer und Spieler hast du so oder so die Pflicht, dich vorzubereiten. Es wird nicht darum gehen, wer mehr Vorteile hat, sondern darum, wer am Schluss gewinnt.“


„Die Pandemie hat uns wehgetan“  

Immerhin: Mit Lean BergmannKorbinian HolzerDavid Wolf (alle Adler Mannheim), Dominik Kahun (SC Bern, Schweiz), Tom Kühnhackl (Skelleftea AIK, Schweden) und Tobias Rieder (Växjö Lakers, Schweden) stehen sechs ehemalige NHLer im deutschen Aufgebot. „Sie sind ein wichtiger Teil unserer Mannschaft“, sagt Söderholm. „Die Jungs haben Erfahrung aus harten und umkämpften Spielen, können mit der Erwartung, in jedem Spiel liefern zu müssen, umgehen und kennen die kleinere Eisfläche und das damit verbundene Körperspiel. Sie gehören definitiv zum Kern dieses Teams.“

Toni Söderholm kann unter anderen auch auf den zweifachen Stanley-Cup-Sieger Tom Kühnhackl (li.) zurückgreifen

Toni Söderholm kann unter anderen auch auf den zweifachen Stanley-Cup-Sieger Tom Kühnhackl (li.) zurückgreifen BILDBYRÅN/ActionPictures


Im Vorteil dürften Nationen sein, die eine starke Liga in ihrem Land haben. So zum Beispiel Russland (KHL), Schweden (SHL), Finnland (Liiga) oder die Schweiz (NL). Im deutschen Team spielen 21 von 25 Spielern in der DEL. „In dieser Saison hat uns die Pandemie wehgetan, wenn ich ehrlich bin. Wir sind einige Schritte hinter der KHL, SHL und Liiga“, ordnet Söderholm ein. „Ich glaube trotzdem, dass wir auf einem konkurrenzfähigen Level sind. Die einzelnen Ligen sind auch schwer zu vergleichen, denn die Spielart ist überall anders: Das disziplinierte Spiel in Deutschland wird in der Schweiz genauso wenig zu finden sein wie das temporeiche Hin und Her aus der Schweiz bei uns.“


Die Goalie-Frage: Strahlmeier wird nicht berücksichtigt  

Von selbst stellte sich der deutsche Kader auch ohne die Exporte in Nordamerika nicht auf. „Entscheidungen müssen immer getroffen werden und wir haben sie auch dieses Mal nicht auf die Schnelle getroffen“, erklärt der Bundestrainer. „Wir haben die Pros und Contras für jeden einzelnen Spieler sehr genau analysiert und überlegt, was jeder einbringen kann und was ihm der Bundesadler auf dem Trikot bedeutet. Ich denke nicht, dass wir etwas übersehen haben.“


„Die Zeit von Dusty kommt zu 100 Prozent“  

Für die meiste Aufregung im Vorfeld sorgte die Nicht-Nominierung von Torwart Dustin Strahlmeier (Grizzlys Wolfsburg), der mit einer Fangquote von 93 Prozent und einem Gegentorschnitt von 2,15 zu den statistisch besten Goalies in der DEL zählt. „Der Entscheidungsprozess für Olympia geht ja schon länger. Über drei Jahre habe ich Erfahrungen über Spieler gesammelt, die dann zu einer Entscheidung geführt haben. So wie ich es sehe, braucht man für dieses Turnier eine gewisse internationale Erfahrung. Wir haben jetzt Torhüter dabei, die in allen Situationen gespielt und die alle etwas gewonnen haben. Das war ein Kriterium“, begründet Söderholm und betont: „Die Zeit von Dusty kommt zu 100 Prozent irgendwann. Jetzt habe ich diese Entscheidung getroffen.“

Das Ticket für Olympia 2022 erhielten Mathias Niederberger (Eisbären Berlin), Felix Brückmann (Adler Mannheim) und Danny aus den Birken (EHC Red Bull München). Niederberger spielte zuletzt eine herausragende WM in Lettland, avancierte zur „Krake von Riga“ und dürfte als unangefochtene Nummer 1 in das Olympische Turnier gehen.


Schwere Gruppe – Favorit Russland?  

Dieses startet für Deutschland am 10. Februar 2022 (14.10 Uhr MEZ) gegen Kanada. In der Gruppenphase geht es außerdem gegen Gastgeber China und die USA. „Es ist eine interessante Gruppe, in der man nur wenig vorhersagen kann“, sagt Söderholm. „Die Amerikaner haben mehrere technisch starke Spieler aus dem College, wo sehr schnell gespielt wird. Kanada ist ein bisschen erfahrener als die US-Truppe, ihre Spielweise wird klar zu erkennen sein, sie wollen das Spiel vor dem Tor entscheiden. Die Chinesen sind von allen drei Gegnern die unbekanntesten. Für mich ist die größte Gefahr, zu denken, dass wir die bessere Mannschaft sind. Wir müssen uns auch dort beweisen.“

Ein konkretes Ziel habe man sich noch nicht gesteckt. „Mich interessiert am meisten das erste Spiel und der Prozess zu den Spielen zwei und drei, um dann auch ein viertes Spiel zu haben“, so Söderholm. „Egal gegen wen, wir müssen ein starkes Spiel liefern, damit wir auch ein Spiel fünf bekommen. Dann wird es interessant…“


„Die anderen müssen uns erstmal schlagen“  

Zu den Turnierfavoriten zählt Söderholm gleich mehrere Teams. „Ich glaube, dass die Russen stark sind. Der Weg zu einer Medaille wird auch über Finnland führen. Danach ist das Feld ein bisschen offen. Ich sehe die Schweden besser als bei der WM, die Schweiz wird stark sein und ein Wörtchen mitreden und auch Tschechien hat eine ziemlich erfahrene Mannschaft zusammengestellt. Das stolze Adler-Trikot kommt natürlich auch dazu: Die anderen müssen auch uns erstmal schlagen.“


„In unserer Sprache gibt es das Wort Star nicht.“


Mit Leidenschaft zur nächsten Überraschung  

Überzeugen möchten die Deutschen mit einem durchdachten Gameplan und wie immer mit einer Menge Leidenschaft. Bilder wie die von der letzten Weltmeisterschaft, bei der sich auch die vermeintlichen Stars wie Kühnhackl und Rieder in jeden Schuss warfen, sollen symbolisch für den deutschen Weg stehen. „Jeder ist bereit, alles dafür zu tun, um zu gewinnen“, betont Söderholm. „In unserer Sprache gibt es das Wort Star nicht. Wir reden lieber darüber, wie Spieler ihre jeweilige Rolle ausführen. Dazu zählt auch, Schüsse zu blocken. Dazu ist jeder Spieler bereit.“

Jeder opfert sich für die Mannschaft. Auch Spieler wie Tobias Rieder, der sich hier in einen Schuss wirft

Jeder opfert sich für die Mannschaft. Auch Spieler wie Tobias Rieder, der sich hier in einen Schuss wirft BILDBYRÅN/ActionPictures


Überhaupt umgibt die Nationalmannschaft schon seit Monaten eine positive Aura und Siegermentalität. Auch der 43-jährige Finne kann das spüren: „Ja, aber man muss auch ständig daran arbeiten. Ohne Arbeit geht das nicht. Spieler, Trainer und Stab muss ständig am Puls bleiben, das ist unglaublich wichtig. Wir machen uns über so viele Dinge Gedanken, damit alle Teile ineinanderpassen. Die Spieler müssen sich wiederum fragen: Liefere ich das beste Spiel, das ich spielen kann und gebe ich alles dafür, um zu gewinnen?“

Positiv ist die Entwicklung des deutschen Spiels zu sehen. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Deutschland ausschließlich aufs Verteidigen konzentriert. Weitaus klangvollere Namen finden sich mittlerweile im Sturm. Haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen Defensive und Offensive also verschoben? „Soweit würde ich noch nicht gehen. Wir unterscheiden auch nicht zwischen Defensive und Offensive, denn das eine wird ohne das andere nicht funktionieren. Du kannst in der Defensive dein Offensivspiel gestalten, musst dir aber auch in der Offensive Gedanken um das Defensivspiel machen. Wir betrachten deshalb Situationen, in denen wir die Scheibe haben oder nicht“, erklärt Söderholm.


Auf den Spuren von Marco Sturm?   

Spannend bliebt die Frage, ob das deutsche Eishockey seinen bislang größten Erfolg seiner Geschichte wiederholen kann: Bei den Olympischen Spielen 2018 gewann Deutschland die Silbermedaille. Damals war Marco Sturm noch Bundestrainer. Mit Edelmetall um den Hals verabschiedete sich der Erfolgscoach daraufhin in die NHL und arbeitet seitdem als Co-Trainer bei den Los Angeles Kings. 

Mit Söderholm könnte sich nun ein ähnliches Szenario ergeben, immerhin läuft sein Vertrag beim DEB im Mai aus. „Wir haben uns im letzten Monat öfters ausgetauscht, jetzt ist aber nicht die Zeit, dass man jeden Tag darüber redet“, sagt der 43-Jährige. „Es liegt nicht nur in meinen Händen. Ich verstehe, dass die Frage jetzt interessant ist, weil ich auch gesagt habe, dass ich Interesse an der NHL habe. Natürlich ist das in meinen Gedanken, aber auch sehr schwer zu erreichen, selbst wenn du vielleicht eine Medaille um den Hals hast.“


„Unsere Spieler brennen auf den Auftakt“  

Der Fokus liegt beim amtierenden Bundestrainer und bei seiner Mannschaft jetzt voll auf Olympia. „Die Vorfreude ist sehr groß. Man muss schon sagen, dass wir heiß und sehr motiviert sind“, findet der kühle Finne warme Worte. „Unsere Spieler brennen auf den Auftakt. Es ist also eine aufregende Stimmung, gleichzeitig sind wir klar auf das fokussiert, was wir erreichen wollen.“

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