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Lean Bergmann: Zwischen Vorfreude, Zuversicht und Paranoia

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bricht in dieser Woche zu den Olympischen Spielen nach China auf. Mit an Bord ist Power Forward Lean Bergmann von den Adlern Mannheim. Mit Elite Prospects Rinkside hat sich der 23-jährige Stürmer vor dem Abflug über die Medaillenjagd in Peking, Angst vor Corona und die NHL unterhalten.



Servus Lean! Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für die Olympischen Spiele 2022. Wie hast Du es erfahren und wie darauf reagiert?

Es war schon vor einem Monat bekannt, dass ich im erweiterten Kader stand. Danach hat sich der Toni (Bundestrainer Toni Söderholm) aber nicht in die Karten gucken lassen, mich vor etwa zehn Tagen angerufen und gesagt, dass ich mitfahre. Ich habe mich natürlich unglaublich gefreut. Für mich gibt es nichts Größeres, als für Deutschland und die Nationalmannschaft zu spielen. Olympia ist auch nochmal größer als eine WM.


Für dich werden es die ersten Olympischen Spiele sein. Wie groß ist die Vorfreude?

Ich bin natürlich ein bisschen aufgeregter, weil ich noch nicht weiß, wie es ablaufen wird. Man hat viele Geschichten von Mitspielern gehört, wie toll und cool es ist. Olympia ist das größte Sportevent, was es gibt, es gibt keine größere Bühne. Ich denke aber auch, dass es nicht weniger bedeutungsvoll für mich wäre, wenn ich ein zweites Mal zu Olympia fahren dürfte.


Bundestrainer Toni Söderholm hat den Olympia-Kader bewusst nach bestimmten Rollenspielern zusammengestellt. Wie genau ist deine Rolle definiert?

Ich habe noch nicht explizit mit ihm gesprochen. Klar ist, dass ich jemand bin und sein werde, der versucht, Energie reinzubringen, der ein unangenehmer Gegenspieler ist, wenn er auf dem Eis ist. Ich möchte körperlich spielen und die Rolle annehmen, in der ich gebraucht werde.


„Ich schiebe richtig Paranoia“


Wie verbringst du die Zeit bis zum Abflug nach China?

Wir haben letzte Woche noch in getrennten Gruppen in Mannheim trainiert. Die Olympia-Jungs haben ein paar Konditionssätze auf dem Eis gemacht, um nochmal ein Mini-Bootcamp zu haben. Das Tempo wird bei Olympia aufgrund der kleinen Eisfläche sehr hoch werden. Ich war außerdem noch zweimal selbst auf dem Sportplatz und habe individuell an meiner Schnelligkeit und Explosivität gearbeitet, um nach meiner Verletzung extra Fitness zu bekommen.


Die Adler Mannheim wurden zuvor von einer Corona-Welle erfasst. Wie groß ist die Befürchtung, sich so kurz vor Olympia noch mit dem Coronavirus zu infizieren?

Ehrlich gesagt schiebe ich da richtige Paranoia. Ich habe keine Angst davor, krank zu werden, sehr wohl aber vor einem positiven Test, sodass ich nicht mitspielen könnte. Das ist meine größte Sorge. Wir hatten letzte Woche am Montag 14 positive Fälle und tags zuvor noch alle zusammen trainiert. Da hatte ich unter der Woche schon sehr viel Angst gehabt. Ich hatte mittlerweile schon drei PCR-Tests, alle waren negativ. Hoffentlich bleibt das so.


Bei der Handball-WM wurde die deutsche Nationalmannschaft von vielen Infektionen regelrecht auseinandergerissen. Wie groß ist die Angst vor so einem Szenario für das DEB-Team bei Olympia?

Es ist keine Angst, sondern eher Bedenken – und auch nur für die Tage. Wir reisen alle mit mehreren negativen Tests an und werden auch vor Ort die ganze Zeit getestet. Die größte Gefahr ist also am Anfang, dass man sich am Flughafen oder bei der Anreise etwas einfängt. Sobald wir im Olympischen Dorf sind, gibt es Vorkehrungen, dann geht das. Bei der Handball-WM habe ich gehört, dass auch ganz normale Leute mit im Hotel waren und es Begegnungen auf dem Gang gab – solche Zustände wird es bei uns nicht geben. 


„Jeder fährt dorthin, um Gold zu gewinnen“


Wie schätzt du Eure Gruppe mit Kanada, China und den USA ein?

Ich glaube, es ist eine sehr gefährliche Gruppe, in der wir aufpassen müssen. Die USA und Kanada sind immer Favoriten auf einen Sieg. Und China hat eigentlich nur auf dem Papier Chinesen: Es ist eigentlich eine KHL-Mannschaft, also kein Gegner, den wir unterschätzen sollten. Mehrere Spieler haben auch schon in der NHL gespielt. Wir können aber jedes Team schlagen, das haben wir auch schon bei den letzten beiden Weltmeisterschaften gezeigt und den jeweiligen Weltmeister in der Gruppenphase besiegt. Das Turnier ist kurz, da kann alles passieren.

Lean Bergmann wird seine erste Olympiade spielen

Lean Bergmann wird seine erste Olympiade spielen BILDBYRÅN/ActionPictures


Die Spieler hatte schon bei der WM ambitioniertere Ziele als der Verband. Was habt ihr euch also für Olympia vorgenommen?

Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Der allgemeine Slang und auch bei mir persönlich ist es so, dass jeder dorthin fährt, um die Goldmedaille zu gewinnen. Wir haben sehr gute Chancen.


Deutschland geht als Vorjahres-Zweiter und somit als Verteidiger der Silbermedaille ins Rennen. Spürst du einen gewissen Rucksack?

Ich denke nicht, dass uns das unter Druck setzt. Der Druck kommt eher daher, dass wir ein extrem gutes Team haben, sich jeder darüber bewusst ist, dass wir gewinnen können und somit nicht im Achtel- oder Viertelfinale ausscheiden wollen. Auch die letzten beiden WMs haben gezeigt, dass wir deutlich ernster genommen werden.


Wie und wo hast du den Silber-Triumph 2018 erlebt?

Ich kann mich noch gut daran erinnern: Ich habe zu dieser Zeit bei den Green Bay Gamblers in der USHL gespielt. Wir waren mit der ganzen Mannschaft bei einem Mitspieler zu Hause und haben das Finale angeschaut. Die ganzen Nordamerikaner hat das nicht interessiert, wir hatten aber auch einen russischen Torwart, der mitgefiebert hat. Ich saß vor dem Fernseher und wäre bei den Toren beinahe in den Bildschirm gesprungen. Das war schon eine Achterbahnfahrt der Emotionen.


Warum muss man Deutschland erneut auf den Zettel haben?

Ich denke, wir haben abgesehen von den NHLern von der ersten bis zur vierten Reihe das Beste, was es im deutschen Eishockey gibt. Wir haben Spieler mit viel Erfahrung, die schon viele WMs gespielt und in verschiedenen Ligen gespielt haben, dazu auch noch zehn oder zwölf Silbermedaillengewinner von damals. Unsere Mannschaft hat sich schon oft genug bewiesen und befindet sich ohne Frage auf einem Top-Niveau.


Du warst schon bei der WM 2021 in Riga dabei, kennst also den Team-Spirit im deutschen Team. Die Nationalmannschaft scheint von einer gewissen Aura umgeben zu sein. Spürst du dieses Gefühl auch?

Auf jeden Fall. Man merkt, dass jeder Spieler extrem stolz ist, dass er dabei sein darf, es liebt für die Nationalmannschaft zu spielen und bereit ist, absolut alles für den Erfolg zu geben. Es gibt keinen, der nur an sich selbst denkt – alles, was zählt, ist die Mannschaft. Schon bei der WM hat sich jeder in die Schüsse geworfen und alles getan und gemacht. Das war ein starkes Symbol. Ich bin mir sicher, dass wir das auch bei Olympia zeigen werden.

Alles, was zählt, ist die Mannschaft - Lean Bergmann

Alles, was zählt, ist die Mannschaft - Lean Bergmann BILDBYRÅN/ActionPictures


Mit wem wirst du im Olympischen Dorf in China am meisten Zeit verbringen und warum?

Das wird davon abhängen, mit wem ich auf dem Apartment bin. Es wird 2er- und 4er-Zimmer geben...


Wenn du es dir aussuchen könntest, mit wem würdest du ein Apartment beziehen?

(lacht) Ich denke, ich verstehe mich mit allen gut. Neben den Mannheimern vor allem auch mit Moritz MüllerMarcel NoebelsFrederik Tiffels und Dominik Kahun. 


„Schlägereien? Natürlich bin ich dafür!“


Du bist jetzt deine erste Saison zurück in Deutschland. Für die Adler Mannheim hast du in 30 Spielen zwölf Scorerpunkte (acht Tore, vier Assists) gesammelt. Wie zufrieden bist du mit deiner bisherigen DEL-Saison?

Ehrlich gesagt hätte es ein bisschen mehr sein können. Ich muss aber auch sagen: Je älter ich werde, desto weniger interessieren mich die Punkte. Warum spiele ich Eishockey? Nicht weil ich Top-Scorer sein will, sondern weil ich Spaß am Spiel haben und gewinnen möchte. Mit den Adlern sind wir diesbezüglich in einer guten Position. Man darf auch nicht vergessen, dass wir durch die Corona-Situation teilweise mit zweieinhalb Reihen gespielt haben, das ist eine Katastrophe. Dadurch ist es schwer, konstante Leistungen abzurufen. Ich hatte mich auch schon in der Preseason verletzt, was Form gekostet hat und hatte auch im Dezember nochmal eine Verletzung. Diese Saison hatte also viele kleine Hürden, um einen optimalen Verlauf zu haben.


In deiner Statistik stehen auch 30 Strafminuten…

Das ist einfach zu erklären: Ich bin jemand, der die eine oder andere Strafe nimmt, aber auch einige herausholt. Darunter sind auch zwei Schlägereien, da kommt man schnell auf 30.


Demnach bist du auch ein Befürworter von Faustkämpfen im Eishockey?

Natürlich bin ich dafür! Das ist ein Teil des Spiels und das war es auch schon immer. Es ist gut und wichtig, dass es Schlägereien gibt, weil sonst würden einige Sachen auf dem Eis passieren, die jetzt noch nicht passieren. Die Spieler müssen wissen, dass nicht alles geht, sonst gibt es auf die Zwölf. Es bringt auch Energie und Emotionen in die Mannschaft und in die Fans auf den Rängen. 

Lean Bergmann (re.) begleicht eine Rechnung mit Simon Despres von den Eisbären Berlin

Lean Bergmann (re.) begleicht eine Rechnung mit Simon Despres von den Eisbären Berlin BILDBYRÅN/Contrast


Zuletzt fielen in der DEL zahlreiche Spiele aus, der Spielplan gleicht einem Flickenteppich. Wie nervig ist die aktuelle Situation für euch Spieler?

Es ist natürlich sehr nervig, da du in keinen Rhythmus reinkommst. Man selbst hat Routinen, was Training, Pausen und Spiele betrifft, das wird alles über den Haufen geworfen. Mal hast du kein Spiel in der Woche, dann wieder vier in einer. Das ist kontraproduktiv, um gute Leistungen abzuliefern. Einige Mannschaften hat es richtig böse getroffen: Die Iserlohn Roosters waren schon zweimal in Quarantäne, da ging gar nichts mehr. Ich habe das Gefühl, das oftmals nicht der Bessere gewinnt, sondern der mit weniger Covid-Fällen. So sollte es aber nicht sein. Meiner Meinung nach sollte auch der Abstieg in diesem Jahr ausgesetzt werden. Weder Verein noch Spieler können etwas dafür. Ganz allgemein bin ich ja für den Auf- und Abstieg: Es bringt Wettkampf und Konkurrenz, daraus entsteht immer etwas Gutes, denn es wird effizienter gearbeitet. In dieser Saison hat das alles allerdings nur wenig mit Wettkampf zu tun. Ich hoffe, dass die Liga nach der Olympia-Pause eine neue Regelung findet, dass ein regelmäßiger, konstanterer und zuverlässigerer Spielbetrieb sichergestellt werden kann. 


Söderholm hob hervor, wie wichtig ihm die Erfahrung seiner sechs Ex-NHL-Spieler ist. Du bist einer davon. Wie wird dir die NHL-Zeit in Peking helfen?

Ich habe ja nicht so viel NHL-Erfahrung. Ich denke, was eher ausschlaggebend sein wird, ist, dass ich schon länger in Nordamerika auf dem kleineren Eis gespielt habe. Systeme und Timing sind anders. Wir tun uns leichter, weil wir das schon kennen. Ich denke, dass mir das kleinere Eis zu Gute kommt, denn es macht das Spiel schneller, körperlicher und aggressiver.


Wie intensiv verfolgst du noch das Geschehen in der NHL?

Ehrlich gesagt nur noch wenig. Ich bin dieses Jahr eher auf mich selbst fokussiert. Natürlich habe ich meine zwei, drei Teams, die ich verfolge. Ich sehe mir gerne die Colorado Avalanche an, die eine unglaubliche Mannschaft haben. Auch die Vegas Golden Knights, weil die noch denselben Coaching-Staff haben, unter dem ich in San Jose gearbeitet hatte. Entsprechend weiß ich, wie sie spielen und finde es sehr interessant, wie die Spieler das System umsetzen. Ich schaue mir auch gerne die Highlights der Ottawa Senators und Detroit Red Wings an, weil Timmy (Tim Stützle) und Mo (Moritz Seider) dort spielen. Es sind auch immer Spiele, die interessant sind.


„So etwas dürfen nur andere Spielertypen machen“


Hattest du selbst schon wieder Kontakt zu NHL-Teams?

Ja. Es waren sogar drei Teams. Wir haben eher allgemein ein bisschen geplaudert, da war nichts Konkretes dabei.


Über was habt ihr euch unterhalten?

Einfach über meine Zeit in San Jose, was ich dort gelernt habe, warum ich nicht mehr da bin, wie es in Mannheim läuft und wie ich mir die Zukunft vorstelle.


Die Tür ist also nach wie vor nicht zu?

Ich bin 23 Jahre alt - wenn ich keine Ziele mehr hätte, es dorthin zu schaffen, dann wäre das sehr ungesund. Mein Ziel ist, es wieder in die NHL zu schaffen. Viele Spieler kommen erst mit Mitte 20 dorthin. Bei den Sharks waren damals Viele gar erst 26 oder 28. Da ist die Messe also noch lange nicht gelesen. Ich weiß aber auch, dass ich mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und gut in Mannheim, der DEL und der Nationalmannschaft spielen muss. Der Rest kommt von alleine. 

Lean Bergmann absolvierte 13 Spiele in der NHL für die San Jose Sharks

Lean Bergmann absolvierte 13 Spiele in der NHL für die San Jose Sharks Stan Szeto-USA TODAY Sports


Dein Ex-Klub San Jose Sharks scheint wieder auf einem besseren Weg zu sein. Was machen die Sharks in diesem Jahr anders als in den zwei enttäuschenden Jahren zuvor?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke, sie haben gar nicht so viel verändert. So wie in den letzten Jahren haben sie zu viele gute Spieler, um in der Tabelle unten zu stehen, aber nicht die Kaderstärke, um ganz oben mitzuspielen. Das sieht man in dieser Saison auch.


Mit Evander Kane ist einer deiner ehemaligen Mitspieler kürzlich bei den Edmonton Oilers untergekommen. Was für einen Einschlag wird er für das Team um Leon Draisaitl & Co. haben?

Ich glaube, man kann über Evander sagen was man will, aber er ist ein sehr guter Eishockeyspieler. Er ist so ein typischer Kanadier, bei dem auf dem Eis einfach alles zu klappen scheint. Egal, wie er den Puck schießt, wie sehr er flattert, er geht am Ende rein. Er ist jemand, der den Touch hat und wird auch in Edmonton wieder Tore schießen. Er zählte in den zwei Jahren zuvor schon zu den Top-Torschützen in San Jose, bringt Härte mit aufs Eis und hat auch immer sehr gut in Unterzahl gespielt. Ich denke, dass er den Oilers weiterhelfen kann.


Sehr beliebt scheint in der NHL derzeit der Michigan-Trick zu sein. Sehen wir ein Lacrosse-Tor von Lean Bergmann bei den Olympischen Spielen?

(lacht) Darauf würde ich nicht wetten! Es ist aus dem Spiel heraus sehr schwer zu machen. Ich glaube, ich könnte das gar nicht, von vier Versuchen gelingt es vielleicht einmal. Es ist auch etwas, was mir nicht erlaubt ist: Sowas dürfen nur andere Spielertypen machen.



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