Timo Meier: „Ich musste mich ein-, zweimal zwicken“
Timo Meier von den San Jose Sharks hat einen kometenhaften Aufstieg in der NHL hingelegt. Mit EliteProspects Rinkside spricht der 24-jährige Power Forward über seine Anfänge in der Schweiz, das Eishockey in Kalifornien und seine ambitionierten Ziele.
Nach vielen Wochen in der Schweizer Heimat ist Timo Meier in diesen Tagen zurück an seinem Arbeitsplatz in San Jose. „Es ist immer schön, wenn man nach einem langen Sommer zurückkommt, wieder alle Jungs sieht und auch neben dem Eis was zusammen machen kann. Die Vorfreude ist groß“, sagt der Sharks-Stürmer.
Während in seiner Schweizer Heimat der Herbst mit kühleren Temperaturen anbricht, klettert das Thermometer in Nordkalifornien sogar noch über die 30-Grad-Marke. „Es sind schöne, warme Temperaturen“, so Meier. „Auch wenn es in der Schweiz schon schneit, ist es hier noch schön warm und du kannst mit Flipflops ins Training gehen. Das ist etwas, was sehr cool ist. Ich lege mich nach dem Training auch gerne mal in die Sonne, um mich zu erholen.“
Die Eine-Million-Einwohner-Stadt liegt am südlichen Ende der San-Francisco-Bucht. „Es ist eine sehr schöne Umgebung“, findet Meier. „Es ist cool, in Kalifornien Eishockey zu spielen. Ich genieße es extrem.“
Seine Wurzeln hat der 24-Jährige indes nicht vergessen. Im Gegenteil. „Ich vermisse natürlich Familie und Freunde. Aber auch die extrem schöne Landschaft und die Berge“, zählt Meier auf. „Auch das Essen: Wir haben sehr gutes Brot in der Schweiz und natürlich auch Käse.“
Über den Nachbarn zum Eishockey
Dass Meier in San Jose gelandet ist, liegt an der Entscheidung der Sharks, den in Herisau geborenen Angreifer im Draft 2015 in der 1. Runde an 9. Stelle auszuwählen. Verlassen hat der Linksschütze seine Heimat jedoch bereits deutlich früher.
Doch der Reihe nach. Meier kam schon mit vier Jahren zum Eishockey. Über seinen Nachbarn: „Ich bin relativ nah zur Eishalle aufgewachsen, es waren nur etwa fünf Minuten Fußweg. Mein Nachbar war Eishockey-Profi und sein Sohn ein Jahr älter als ich. Ich bin dann auch in die Eishalle mitgegangen und wollte es selbst versuchen. Seitdem habe ich mich ins Eishockey verliebt und genieße jeden Tag seitdem.“
Über die Junioren-Abteilungen seines Heimat-Klubs SC Herisau startete Meier dann durch und wechselte später zu Pikes Oberthurgau und Rapperswil. In allen Auswahlen fiel er nicht nur als Scorer, sondern vor allem als Torjäger auf. Nicht ohne Grund debütierte er auch in der U-16-Nationalmannschaft der Schweiz und wies auch dort seinen Torriecher nach.
Einen Masterplan für eine NHL-Karriere hatte er sich damals noch nicht zurechtgelegt. „Dadurch, dass ich in der Schweiz aufgewachsen bin, wollte ich immer in der National Liga A spielen“, sagt Meier. „Mein großer Traum war natürlich die NHL. Als mit 16 dann die Möglichkeit kam, nach Kanada zu gehen, kam ich meinem Traum um einiges näher…“
Mit 16 Jahren in die QMJHL
Für die Saison 2013/14 wagte Meier den Sprung über den großen Teich und lief für die Halifax Mooseheads in der renommierten kanadischen Juniorenliga QMJHL auf. „Es war am Anfang sicher nicht einfach. Es sind viele neue Sachen dazugekommen, ich war auf mich selbst gestellt und musste viel lernen“, blickt Meier zurück. „Ich hatte aber immer mein Ziel vor Augen. Das macht vieles einfacher, auch in den schweren Momenten, die es mit 16 weit weg von der Familie auch gibt. Dadurch, dass ich im Kopf klare Ziele hatte, hat mich das immer sehr motiviert und ich wusste, wo ich hinwill und konnte mich durchbeißen. Ich war näher an der NHL dran, habe mehr Spiele geschaut. Tief in mir habe ich immer daran geglaubt, dass ich es schaffen kann.“
Diese Überzeugung ließ sich auch an Meiers Statistiken ablesen: Seine erste QMJHL-Saison schloss der Stürmer mit einer 17-17-34-Bilanz aus 66 Spielen ab und wurde damit siebtbester Torjäger und neuntbester Scorer. Die Shootingstars hießen damals Nikolaj Ehlers (heute Winnipeg Jets) und Jonathan Drouin (heute Montreal Canadiens), die beide 1996er Jahrgang, also ein Jahr älter als Meier waren.
In der zweiten QMJHL-Saison 2014/15 stand der Schweizer dann selbst im Mittelpunkt, pulverisierte seine Ausbeute aus dem Vorjahr mit einer 44-46-90-Ausbeute in 61 Spielen und wurde so zum Top-Torjäger und zweitbesten Scorer der Mooseheads.
Draft 2015: „Ich habe jede Sekunde genossen“
Damit stand Meier gerade rechtzeitig in seinem Draft-Jahr prominent im Schaufenster und wurde an neunter Stelle von den Sharks gezogen. Wohlgemerkt hinter Namen wie Connor McDavid (1., Edmonton Oilers), Jack Eichel (2., Buffalo Sabres), Dylan Strome (3., Arizona Coyotes), Mitchell Marner (4., Toronto Maple Leafs), Noah Hanifin (5., Carolina Hurricanes), Pavel Zacha (6., New Jersey Devils), Ivan Provorov (7., Philadelphia Flyers) und Zach Werenski (8., Columbus Blue Jackets). Nur zwei Schweizer wurden jemals früher als Meier gedraftet: Nico Hischier (1st overall im Draft 2017 von den Devils) und Nino Niederreiter (5th overall im Draft 2010 von Hurricanes).
„Es war ein sehr spezieller Tag mit der Familie in Florida. Natürlich war ich sehr aufgeregt und wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich habe aber jede Sekunde genossen“, führt Meier aus. „Es ist etwas, wovon man als kleiner Junge geträumt hat. Und dann selbst in diesem Stadion zu stehen und zum ersten Mal ein NHL-Trikot überzuziehen, das war etwas, was schwer in Worten zu fassen ist. Ich denke auch jetzt noch gerne zurück an diesen schönen Moment.“
Ab diesem Moment übernahm Meier auch mehr Verantwortung, wurde zum Kapitän in Halifax sowie auch in der Schweizer U-20-Nationalmannschaft. „Ich liebe die Herausforderung, Verantwortung zu übernehmen und will auch auf und neben dem Eis den Unterschied machen“, sagt Meier. „Ich versuche immer das Beste für das Team zu geben und mit gutem Beispiel und der richtigen Einstellung voran zu gehen. Das ist etwas, was ich schon immer machen wollte.“
Denis Malgin (li.), Timo Meier (mi.) und Nico Hischier (re.) bei der U20 WM 2015 BILDBYRÅN/Joel Marklund
Traum oder Wirklichkeit? Meiers perfekter NHL-Einstand
Für die Saison 2016/17 holten die Sharks ihr Top-Talent dann in die Bay Area: Meier gab sein Profi-Debüt für die San Jose Barracuda in der AHL und wusste dort nicht nur körperlich zu bestehen, sondern zeigte sich erneut in Scoring-Laune: In 33 Spielen markierte der Power Forward 23 Scorerpunkte (14 Tore, neun Assists). Im Dezember erhielt er dann den Call-up von den Sharks, die sich gerade mitten auf einem Road-Trip im Osten befanden. „Ich war zu Hause in meinem Apartment hier in San Jose, habe einen Telefonanruf bekommen und musste dann am nächsten Morgen nach Montreal fliegen. Ich hatte mich extrem gefreut und natürlich nicht viel geschlafen. Und dann ging es ganz schnell und ich saß im Flugzeug nach Montreal.“
Im Bell Centre passierte es dann: Gegen die Canadiens (Endstand: 4:2) stand Meier zum ersten Mal in seinem Leben auf NHL-Eis. „Es war sehr speziell. Auch, weil Montreal ein Team mit viel Tradition ist“, sagte Meier, der schon in der 14. Spielminute gleich den nächsten Meilenstein erreichte: sein erstes NHL-Tor zum zwischenzeitlichen 3:0 für die Sharks. „Das erste Tor war ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Das hast du dir als kleiner Bube immer vorgestellt. Plötzlich war es Wirklichkeit. Ich musste mich dann schon ein, zweimal zwicken, ob es wirklich die Realität ist oder doch ein Traum. Es war ein Moment, den ich nie vergessen werde!“
Mit „harter Arbeit“ zur festen Größe bei den Sharks
In den folgenden Wochen war Meier aus der NHL-Mannschaft nicht mehr wegzudenken. Der 1,84 Meter große und 98 Kilogramm schwere Angreifer landete in jeder seiner vier vollen NHL-Saisons unter den Top-4-Torjägern und Top-8-Scorern der Sharks. In seiner punktemäßig besten Spielzeit 2018/19 sammelte er 66 Punkte (30 Tore, 36 Assists) und war damit sogar zweibester Schütze und Top-Scorer der Fins.
Meier erklärt diesen kometenhaften Aufstieg mit „harter Arbeit“: „Ich versuche, mich jeden Tag zu verbessern und mir große Ziele zu setzen. Es ist natürlich manchmal ein schwerer Weg. Ich versuche, die Chancen, die ich bekomme, zu nutzen und es auch zu genießen. Man hat immer davon geträumt, NHL zu spielen und jetzt bin ich hier und ich versuche jeden Tag das Beste daraus zu machen.“
Kyle Terada-USA TODAY Sports
Mittlerweile hat Meier 317 NHL-Spiele in seiner Vita stehen (88-100-188). Hinzu kommt die Erfahrung aus drei Runs in den Stanley Cup Playoffs (35 Partien, 7-13-20). Der Schweizer ist längst eine der tragenden Säulen in San Jose. „Ich bin ein Power Forward und gehe gerne mit der Scheibe vors Tor“, beschreibt Meier seinen Hockey-Stil. „Auch ohne Scheibe bin ich ein physischer Spieler, der gerne den Puck schießt.“ Arbeiten möchte der 24-Jährige noch an seinem Verhalten in der Defensivzone: „Da kann ich noch einiges besser machen und verantwortungsbewusster mit der Scheibe umgehen. Das Spiel ohne Puck ist immer etwas, wo ich noch einen Schritt nach vorne machen möchte, um noch mehr Verantwortung zu bekommen.“
Wie schon viele Schweizer in der NHL und aktuell auch Verteidiger Roman Josi von den Nashville Predators, könnte auch Meier bald einen Buchstaben auf dem Trikot bekommen. „Da denke ich nicht drüber nach, das ist eine Trainer-Sache, wie er das sieht“, so Meier. „Ich mache einfach mein Ding und dann entscheidet der Trainer. Ich will immer das Beste für die Mannschaft geben, dann kommt auch der individuelle Erfolg.“
Zurück in die Playoffs?
Der Erfolg als Mannschaft soll in der anstehenden Saison 2021/22 zurückkehren. In den letzten zwei Jahren nämlich schaffte es der ehemalige Playoff-Dauergast San Jose Sharks nicht mehr in die Playoffs. Trotz klangvoller Spieler wie Erik Karlsson, Brent Burns, Logan Couture oder Tomas Hertl.
Timo Meier (li.) und Brent Burns BILDBYRÅN/Icon SMI
„Es ist wichtig, dass wir als Team zusammenkommen. Der Teamgeist ist entscheidend und muss besser sein. Jeder muss seine beste Leistung abrufen können und das konstant. Das haben wir über die letzten beiden Jahre nicht gemacht“, analysiert Meier und richtet den Blick schon wieder nach vorne: „Die Vorfreude auf diese Saison ist groß. Wir müssen aus den Fehlern lernen und zeigen, dass wir besser sind als das, was wir gezeigt haben. Das Wichtigste wird sein, dass wir in jedem Spiel alles geben. Wenn unser Talent dazu kommt - denn wir haben viele Elite-Spieler -, wir diesen Kampfgeist zeigen und hart spielen, dann kommt auch unser Können irgendwann zur Erscheinung. Der Ansporn ist groß. Wir haben Ziele mit unserer Organisation und wollen zurück in die Erfolgsspur kommen.“
Meier dürfte dabei wieder als Flügelstürmer in einer Top-6-Rolle zum Einsatz kommen. „Ich versuche immer ein Spieler zu sein, der mit allen spielen kann. Ich habe eine gute Chemie mit Logan Couture und Tomas Hertl, also guten Centern, die auch defensiv sehr verantwortungsbewusst sind“, so Meier, der mit seinem aggressiven Forechecking, klugen Positionsspiel und starken Schuss dem Gegner unter die Haut geht und mit diesem Mix in jeder Reihenzusammenstellung eine Bereicherung ist. „Ich möchte“, sagt er, „dass man weiß, was man bekommt, wenn man mich aufs Eis schickt.“
Olympia mit der Schweiz
Das weiß im Übrigen auch der Schweizer Nationaltrainer Patrick Fischer, der bei der Nominierung für die Olympischen Spiele 2022 in Peking/China nicht an Meier vorbeikommen dürfte. „Natürlich ist es als Schweizer immer unglaublich, wenn man das Nationaltrikot anziehen kann“, sagt Meier. „Dann noch eine Olympiade – da ist eine Riesenvorfreude da! Ich versuche jetzt aber den Fokus auf den Saisonstart mit den Sharks zu legen. Wenn es dann soweit ist, dann wird es ein besonderes Ereignis, das auf der Liste von Dingen steht, die man mal erreichen möchte.“
Eine lange Liste an Eishockey-Meilensteinen konnte Meier schon im Alter von 24 Jahren auf seiner Liste abhaken. Nach Silber bei der WM 2018 wäre eine Medaille bei Olympia der nächste logische Schritt. Wie bei sich selbst, legt Meier auch bei der Nati große Ansprüche an: „Wir haben hohe Ziele. Das Schweizer Eishockey hat in den letzten Jahren große Schritte gemacht. Darum wollen wir sicher weiterkommen. Das Viertel- oder Halbfinale ist das Ziel. Wenn wir dort einmal drin sind, dann wissen wir, dass alles möglich ist. Ich freue mich extrem, denn wir haben gute Spieler.“