DEL

Craig und Sebastian Streu: Eine Familienangelegenheit (Part I)

Part I – Craig Streu  


Unsere Geschichte beginnt im Jahr 1968 im kleinen, beschaulichen Ort Biggar, Saskatchewan, Kanada, der sich ein Tick mehr als eine Autostunde vom nächstgrößeren Ort in Saskatoon befindet. Mit einer Einwohnerzahl, die sich stetig um die 2.000 Seelen bewegt, sah ein gewisser Craig Streu, genau dort sein erstes Tageslicht. Heute ist er Co-Trainer der Eisbären Berlin, mit denen er in der vergangenen Saison deutscher Meister wurde. 

Wie viele Kinder in Kanada, besonders in den zahlreichen Orten des mittleren Westens, wo die Wintersaison lang und hart sein kann, fand Craig den Weg zum Eishockey. Diese keine so ungewöhnliche Situation für eines jeden Kanadiers erweckt sicherlich Träume in mehr als nur dem einen oder anderen deutschen Eishockeyfan.

„Wächst du in Kanada auf, ist Eishockey automatisch Teil deines Lebens. Es gibt keinen Druck, die Sportart zu spielen oder gar zu lieben, aber die Leidenschaft, die alle Bürger dafür teilen, zieht einen schon sehr gut hinein,“ erklärt der ehemalige Nationalspieler. „Als junger Mensch mit so vielen Möglichkeiten für Wintersport, ist es schon ziemlich schwer, niemals Eishockey in irgendeiner organisierten Art und Weise zu spielen. Dieses Spiel hat uns einfach irgendwie verbunden.”

Und wenn das Eishockeyfieber einen einmal gepackt hat, sind junge Kanadier kaum in der Lage, nicht von der NHL zu träumen. Der Traum von der NHL ist für die Kids dann durch die Fern- und Medienpräsenz nahezu allgegenwärtig. Und so tat (und immer noch tut) das Streu, der einst sogar kurz vor einem Engagement in der NHL stand.

„Vor ein paar Jahren fand meine Mutter eine Arbeit von mir aus der zweiten Klasse. Darin schrieben wir darüber, was wir sein wollten, wenn wir erwachsen sind. Meine Antwort darauf war ganz klar, dass ich Eishockey spielen wollte. Das war dann durch die gesamte Kindheit der Fall,“ erinnert sich Streu.

„Ich unterschrieb bei den Edmonton Oilers im Jahr 1992, bei denen ich dann in vier Testspielen zum Einsatz kam. Zu der Zeit hatte ich auch ein Angebot aus Europa, um dort als Profi zu spielen. Trotz meiner noch jungen Karriere, befand ich mich schon in einer Zeit, wo ich nach Alternativen gesucht habe und wusste, dass ich unbedingt Profi sein wollte. Neben der NHL war es auch länger ein Traum von mir, in Europa zu spielen. Zugegebenermaßen wusste ich nicht allzu viel über Europa und ich hatte zu der Zeit auch keinen Agenten oder Berater, der mir mit dieser Entscheidung helfen konnte. Als Edmonton mir mitteilte, dass sie mich nach Cape Breton in die AHL für deren Camp schicken wollten, entschied ich mich dafür, das Profieishockey in Europa auszuprobieren.”


Scoring-Star in Deutschland  

Kenner der deutschen Eishockeyszene wissen, dass Streu nur eine Saison in Holland gespielt hat, bevor er den Weg nach Deutschland fand. In der Saison 93/94 spielte er zum Teil für Grefrath in der damaligen dritten sowie zum Teil mit Amberg in der vierten Liga. Mit Amberg spielte er noch zwei Jahre drittklassig, wobei er in seinem letzten Jahr sagenhafte 116 Punkte (51 Tore, 65 Assists) in nur 45 Spielen erzielen konnte, bevor er die Saison 96-97 bei den Augsburger Panther in der DEL verbrachte.

In der Saison 97/98 spielte er für Iserlohn in der 2. Bundesliga und wurde mit 85 Punkten zum absoluten Topscorer. Diese Leistung konnte er in der darauffolgenden Saison prompt wiederholen (84 Punkte, 31 Tore, 53 Assists), was dazu führte, dass er sogar für die deutsche Nationalmannschaft bei einer B-WM nominiert wurde.

„Das absolute Highlight meiner Karriere in Deutschland, war für die Nationalmannschaft nominiert zu werden. Es war eine Ehre, dieses Land zu repräsentieren,“ schaut der frühere Spielmacher, der es bei der WM auf zwei Tore und drei Punkte in sieben Spielen brachte, gerne zurück. Doch wie war eine Nominierung zur deutschen Nationalmannschaft für einen Kanadier überhaupt möglich?

„Mein Vater wurde in Deutschland geboren. Seine Familie wanderte in den 50er-Jahren nach Kanada aus, er behielt aber seine deutsche Staatsbürgerschaft. Insofern wurde ich mit dem Luxus zweier Pässe geboren,” erklärt Streu. Interessanterweise war der Gedanke, eines Tages in Deutschland zu spielen, nicht unbedingt in Streus Hinterkopf.

„Es hat sich einfach so ergeben. Anfangs dachten meine Frau und ich, nachdem es in Amberg gut lief, dass ich einfach ein paar Jahre hier spielen würde und wir dann den Weg zurück nach Kanada finden würden, um einen „echten Job“ nachzugehen. Nachdem unsere Tochter geboren wurde, dachten wir, dass wir nach Kanada zurückkehren, sobald sie in die Schule kommt. Dann gab es allerdings die Gelegenheit, das Land meiner Vorfahren zu repräsentieren und mein Vater hätte nicht stolzer sein können. Der Rest ist bekanntlich Geschichte.“

Geschichte schrieb er in der Tat noch, denn er spielte noch neun weitere Jahre Profi-Eishockey in Deutschland, fast allesamt mit Bremerhaven und primär in der zweiten Liga. Die Meisterschaft konnte er in der Saison 01/02 gewinnen. In der Saison danach folgte allerdings der Abstieg und die Saison 03/04 verbrachte das Team dann in der dritten Liga, wo es dank Streu und seinen 94 Punkten in 53 Spielen wieder Meister geworden ist sowie den Weg zurück nach oben fand. Es folgten vier weitere Jahre in der zweiten Liga, wobei Streu immer zu den absolut besten Scorern des Teams gehörte.

Craig Streu (links) im Trikot von Bremerhaven

Craig Streu (links) im Trikot von Bremerhaven BILDBYRÅN/Lackovic


„Die Meisterschaft 2002 in Bremerhaven war unglaublich,“ erzählt er über den spielerischen Höhepunkt von seiner Zeit in Bremerhaven. „Ingolstadt war bei Weitem die beste Mannschaft der Liga. Unsere Mannschaft war zu der Zeit sogar pleite. Wir hatten seit Monaten keine Gehälter mehr bekommen, aber wir hielten zusammen. Unter diesen Umständen dann doch Meister zu werden – das war einfach unglaublich. Wir hatten auch Spieler aus so vielen unterschiedlichen Ländern, aber diese Gruppe wuchs zusammen und war sehr eng. Es war in dieser Saison, wo ich wirklich lernte, wozu ein richtig zusammengeschweißtes Team in der Lage sein kann.“


Aus dem Spieler wird ein Trainer  

„Meisterschaften sind nicht alles. Jede Saison ist gefüllt mit Highlights und vor allem die Beziehungen, die du aufbaust. Diese Freundschaften sind die wichtigsten Highlights,“ gibt Streu Einblicke in die Erfahrungen als Spieler preis.

Wenn man so was zu hören bekommt, ist es dann nicht allzu schwer nachzuvollziehen, warum Bremerhaven bereit war, Streu für die Saison 08/09 als Cheftrainer des Teams zu ernennen. Es erforderte dennoch, dass er die Entscheidung trifft, seine Spielerkarriere an den Nagel zu hängen.

„2008 bat mich das Team, das Traineramt zu übernehmen. Ehrlich gesagt, wollte ich weiterspielen. Ich dachte, ich hätte noch ein paar gute Jahre in mir,“ gibt er über seine Anfänge als Trainer zu. „Eine Entscheidung musste her und eine Rolle als Coach in der Zukunft war bereits im Hinterkopf. Ich beendete meine Spielerkarriere und übernahm das Amt - und ja, das erste Jahr wurde sehr schwer.“

„Der Übergang vom Spieler zum Trainer war nicht allzu schwer, aber die Männer zu trainieren, die in der Vorsaison noch meine Mannschafts- und Reihenkollegen waren, das war eine riesige Umstellung. Es bewies sich als äußerst schwierig und mal als absolut fantastisch. Ich fand es in diesem ersten Jahr sehr schwierig, die Trennung von den Spielern zu finden, die man als Trainer benötigt, wenn man nicht mehr ein Mitspieler ist. Die gesamte Saison war ein Lernprozess, der absolut nötig war, und wenn ich nun nach 13 Jahren zurückblicke, glaube ich wirklich, es gab nichts, was ich hätte anders machen können bzw. sollen. Ich war, wer ich war und das gehörte zu den Erfahrungen, die man benötigt, um ein besserer Trainer zu werden. Coaching als ehemaliger Spieler ist ein Vorteil für mich gewesen, aber jeder Trainer muss seinen eigenen Weg finden, ständig dazu lernen, und am wichtigsten, sich selbst bleiben, ob ehemaliger Profi oder nicht.“

Wörter und Erkenntnisse des Nachdenkens, die offenbar seinen Weg durchs Trainergeschäft gebahnt haben. Nach einer Saison in Bremerhaven ging es zu den Hannover Indians, bevor er dann die Saison 09/10 als Coach der Passau Black Hawks beendet hat. Danach folgten drei Jahre im Nachwuchsbereich der Lower Austria Stars, bevor er das Traineramt der Neuwieder in der Oberliga Nord übernahm. Den Job hätte er sicherlich lange behalten, jedoch meldete die Mannschaft  Konkurs an und eine völlig unerwartete Gelegenheit ergab sich nämlich als Team Manager und Co-Trainer der Vienna Capitals in der EBEL, wo er mit Head-Coach Serge Aubin zusammenarbeiten würde. Mittlerweile ist das Duo sechs Jahre zusammen, durchlief drei Vereine und gewann zwei Meisterschaften.

„Ja, das Ganze ist wirklich eine Geschichte für sich,“ erläutert Streu über seine Mitarbeit mit Aubin. „Serge war Cheftrainer in Hamburg und dann kam die überraschende Nachricht, dass es keine Hamburg Freezers mehr geben würde. Das war Mai oder Juni, 2016. Ich war in Neuwied und stand kurz vor einem Urlaubsflug nach Kanada als ich den Anruf bekommen hatte, dass wir bankrott waren. Wir waren also beide auf einmal ohne Job. Serge bekam dann die Position als Cheftrainer der Vienna Capitals und nach einigen Anrufe mit dem Verein habe ich feststellen können, dass es dort für mich auch eine Möglichkeit geben könnte. Ich sprach mit Serge und wir lernten uns übers Telefon kennen. Beim ersten Treffen erkannte ich sehr schnell, dass wir die gleichen Ziele und Eishockey-Philosophien hatten. Und in dieser ersten Saison in Wien wurden wir zusammen Meister in der EBEL.“

BILDBYRÅN/GEPA Pictures


Eine harte Zeit bevor das große DEL-Glück kam  

Nach zwei erfolgreichen Jahren in Wien, in denen die Capitals immer einen oberen Platz in der Tabelle in Anspruch nahmen und eine Teilnahme an der Champions Hockey Liga genossen, gab es für das Trainerpaar Aubin/Streu einen Wechsel, und zwar nach Zürich zu den ZSC Lions in der NL. Ein Schritt nach oben im geschäftlichen Sinne, allerdings konnte das Duo nicht den gleichen Erfolg wie in Wien genießen und wurden bereits Mitte Januar 2019 entlassen.

„Bezüglich der Situation in Zürich gab es nichts, was wir hätten machen können,“ betont Streu über den kurzen Aufenthalt bei einem der zielstrebigsten Vereinen in der Schweiz. „Diese Situation war für uns, unsere Spieler und ein Teil des Mitarbeiterstabs sehr frustrierend, aber man hat nicht die Kontrolle über Entscheidungen dieser Art. Diese sind Teil des Jobs und immer möglich in diesem Geschäft.“

Nach drei Jahren hätte das frühzeitige Ende der Saison 18/19 auch das Ende der Partnerschaft zwischen Aubin und Streu bedeuten können. Es hätte auch nicht überrascht, wenn es dazu gekommen wäre, denn die Kurzlebigkeit eines Trainerstuhls ist kein Geheimnis in der Welt des Mannschaftssports. Für die zwei Kanadier kam eine Trennung lediglich aufgrund des Erfolgsereignisses in Zürich nicht infrage.

„Wir waren zu dem Zeitpunkt bereits drei Jahre zusammen und wollten eine weitere Gelegenheit zusammen aufsuchen. Wir hatten beide gehofft, dass der nächste Schritt in unseren Trainerkarrieren wieder als Trainerteam stattfinden würde und wie es so ist im Sport bekamen wir genau diese Gelegenheit in Berlin. Nichts von dem, was in Zürich passiert ist, hat dazu geführt, dass wir uns änderten. Ich halte genau das für mit die größte Stärke die wir als Coaching-Duo aufweisen. Wir wissen, wer wir sind, wir wissen, wozu wir fähig sind, wir wissen, was wir beisteuern können. Wir haben nie Angst uns treu zu bleiben und das zu sein, wer wir sind.“

Dank Stéphane Richer, dem Geschäftsführer der Eisbären Berlin und ehemalige General Manager der Hamburg Freezers, wurde Aubin an die Spree gelotst und selbstverständlich nahm dieser Streu mit. In der Tat ging es seit der Ankunft des Trainerpaars in Berlin nur noch bergauf. Die Meisterschaft in der abgelaufenen Saison wurde selbstverständlich zum Highlight.


„Eine Meisterschaft zu gewinnen ist sehr, sehr schwer. Wir hatten eine herausragende Gruppe von Spielern und jeder Einzelne hat sich komplett in den Dienst der Mannschaft gestellt. Nur so haben wir es geschafft,” erzählt Streu über Berlins Glanzleistung zum besten Zeitpunkt der Saison. „So etwas leistet man nur, wenn alle mitmachen. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, um der Mannschaft überhaupt eine Chance zu geben, Meister zu werden.“

Wer die neun Playoff-Spiele der Eisbären verfolgt hat, weiß ganz genau, wovon Streu spricht. Und in dieser herausragenden Gruppe als Teil dieses siegenden Kollektivs gab es für Craig Streu einen ganz besonderen Spieler, der logischerweise eine umso größere Rolle in seinem Leben spielt als alle anderen in der Mannschaft. Dieser Spieler ist sein 21-jähriger Sohn Sebastian Streu. 



Hier geht es zu Part II der Story: Craig und Sebastian Streu: Eine Familienangelegenheit

https://eprinkside.de/2021/09/02/craig-und-sebastian-streu-eine-familienangelegenheit-teil-2 

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