Philipp Grubauer: „Das Geld war mir nicht wichtig“
Die Überraschung war groß und allgegenwärtig, als der deutsche Torwart Philipp Grubauer vor wenigen Wochen nicht bei den Colorado Avalanche verlängerte, sondern sich als Free Agent dem Liga-Neuling Seattle Kraken anschloss. Mit EliteProspects Rinkside sprach der 29-jährige Rosenheimer über den Vertragspoker, bekannte Gesichter und die neue Herausforderung in der Smaragdstadt.
Hinter Philipp Grubauer liegt die beste Saison seiner NHL-Karriere: Ligaweit verbuchte der Rosenheimer die meisten Shutouts (sieben, wie Semyon Varlamov von den New York Islanders), zweitmeisten Siege (30) und den zweitbesten Gegentorschnitt (1,95). Auch seine Fangquote von 92,2 Prozent war überdurchschnittlich. Nicht umsonst also war der deutsche Torwart unter den drei Finalisten für die Vezina Trophy (bester Goalie der Saison) und landete hinter Gewinner Marc-André Fleury (Vegas Golden Knights) und Andrei Vasilevsky (Tampa Bay Lightning) auf Rang drei.
Aaron Doster-USA TODAY Sports
Oder anders gesagt: Grubauer ist im Kreis der ultimativen Weltklasse-Goalies angekommen. „Nein, das würde ich nicht so sehen“, gibt sich der 29-Jährige ganz bescheiden. „Du musst dich jedes Jahr wieder neu beweisen. Nur weil du einmal da mit dabei warst, heißt das ja nicht, dass es immer so sein wird. Nächste Saison geht es von vorne los.“
Haben sich die Avalanche verpokert?
In dieser wird Grubauer allerdings nicht mehr das Trikot der Colorado Avalanche tragen. Obwohl die Avs ihren Stammtorwart im Expansion Draft beschützten, konnten sie sich schlussendlich nicht mit ihm auf einen neuen Vertrag einigen. Schon bei Top-Verteidiger Cale Makar (sechs Jahre, 54 Millionen US-Dollar) und Kapitän Gabriel Landeskog (acht Jahre, 56 Mio.) nahmen die Avalanche erst sehr spät die Verhandlungen auf, konnten sich aber am Ende noch einigen. Im Falle von Grubauer aber hat sich Colorado wohl verzockt.
„Ich weiß nicht, was deren Plan war“, sagt Grubauer. „Es war natürlich schade, dass es so lange gedauert hat, auch bei Landi (Gabriel Landeskog, d. Red.). Es war ja nicht so, dass sie erst seit gestern wussten, dass die Verträge auslaufen. Das war schon lange klar und meiner Meinung nach haben sie vielleicht mit den Verhandlungen zu spät angefangen. Mich hätte es gefreut, wenn ich in Denver geblieben wäre. Es ist in den letzten drei Jahren meine Heimat geworden. Man hat sich hier etwas aufgebaut und auch die Mannschaft wird in den nächsten Jahren extrem gut sein. Das ist natürlich schade und enttäuschend. Wenn man da früher drüber gesprochen hätte, hätte man sich natürlich einigen können. So war plötzlich Zeitdruck da.“
Die Laufzeit als entscheidender Faktor
Und auch inhaltlich hatten Klub und Spieler unterschiedliche Vorstellungen. Ums Gehalt aber ging es laut Grubauer nicht: „Mir war das Geld nicht wichtig, sondern nur die Vertragslaufzeit. Ich werde jetzt auch 30, wenn du da einen Zwei- oder Dreijahresvertrag unterschreibst, dann hast du schon früh wieder das Risiko im letzten Vertragsjahr: Wenn du da eine schlechte Saison hast, musst du schon wieder um einen neuen Vertrag kämpfen oder fällst am Ende vielleicht sogar raus aus der Liga.“
Um ein Gespür den neuen Vertrag zu bekommen, orientierte sich Grubauer an den Kontrakten von Torwart-Kollegen: „Sechs Jahre mit diesen Statistiken, die ich in den letzten Jahren hatte, da gab es entsprechende Vergleichswerte, wie die von Markström, Binnington und Fleury. Deswegen waren mir die sechs Jahre wichtiger als das Geld.“
Jacob Markström (Calgary Flames) und Jordan Binnington (St. Louis Blues) hatten jeweils für sechs Jahre und 36 Millionen unterschrieben. Fleury (jetzt: Chicago Blackhawks) geht ins letzte Vertragsjahr eines Dreijahreskontrakts über 21 Millionen. Es ist davon auszugehen, dass Grubauer diese Forderungen bei den Avalanche hinterlegte. Am Ende aber unterschrieb Colorados Publikumsliebling anderswo.
Viele Interessenten und ein stiller Abschied
Nachdem das Free-Agent-Fenster öffnete, standen die Interessenten nämlich Schlange beim Vezina-Trophy-Finalisten. „Es haben ein paar Vereine angeklopft“, verrät Grubauer. „Die Türen sind dann aber nach und nach zugegangen, weil ja dann doch viele Torhüter auf dem Markt waren. Ich hatte mir einen Sechsjahresvertrag vorgestellt, was auch nicht überall möglich war. Seattle war aber die erste Mannschaft, die angerufen hat, als ich Free Agent geworden bin.“
Das Ergebnis ist bekannt: „Grubi“ unterschrieb für sechs Jahre und 35,4 Millionen US-Dollar bei den Kraken. Bei den Avs gab es dagegen einen überraschenden und auch überraschend stillen Abschied.
Ron Chenoy-USA TODAY Sports
„Ich habe im Endeffekt fast gar nichts mehr gehört. Das Management hat nur eine ganz kurze SMS geschrieben, mir viel Glück und alles Gute gewünscht. Mehr kam da nicht“, so Grubauer. „Mit einigen Spielern habe ich natürlich telefoniert, sie waren natürlich genauso überrascht wie auch ich im ersten Moment. Ich war immer noch der Überzeugung, dass wir bis zur letzten Minute noch irgendetwas aushandeln können. Verhandlungen hat es aber nicht wirklich gegeben.“
Neue Herausforderung in Seattle
In der Vorwoche stand für Grubauer dann die erste Stippvisite an der neuen Wirkungsstätte an. „Ich war zwei Tage da. Seattle hat von der Stadt und der Organisation sehr viel zu bieten. Was man dort aufbauen kann, ist unglaublich: Die Arena ist ein Wahnsinnsding und das erste Stadion, das CO2-neutral betrieben wird. Die Fans und die Leute, die das Projekt seit Jahren planen sind heiß.“
Auch zu einem Expansion-Team zu wechseln hatte für den Rosenheimer einen ganz besonderen Reiz: „Die Stadt ist so heiß aufs Eishockey, das Management ist unglaublich, auch die Besitzer des Teams wollen alles geben“, sagt Grubauer. „Wenn ein frisches Team in die Liga kommt, dann ist man natürlich stolz darauf, dass man dabei sein darf. Man schreibt Geschichte. Wir sind die Mannschaft, die das erste Mal für diesen NHL-Klub spielt. Das ist Wahnsinn!“
Anschluss hat Grubauer bei den Kraken sofort gefunden, immerhin trifft er auf viele bekannte Gesichter: „Mit Videocoach Tim Ohashi habe ich bei den Washington zusammengearbeitet. Genauso wie mit unserem Chef-Physio Mike Muir. Mit ihnen habe ich schon den Stanley Cup gewonnen. Ich kenne auch Assistenz-GM Rick Olczyk vom Team Europe beim World Cup of Hockey oder Athletik-Trainer Jake Jensen von den Eisbären Berlin. Und bei den Spielern natürlich Joonas Donskoi, Marcus Johansson und Connor Carrick. Das sind alles super Leute.“
Ziel: Gute Statistiken und der Stanley Cup
In Seattle wird Grubauer sofort eine Führungsrolle einnehmen. Der Stanley-Cup-Champion von 2018 (mit den Washington Capitals) ist der Spieler mit dem meisten Star-Potenzial im Kraken-Kader und wird als Starter eine Menge Verantwortung schultern müssen. „Ich sehe keinen größeren Druck darin, aber ich finde es schön zu sehen, dass sie mich unbedingt wollten. Dann bin ich umso mehr bereit für die Stadt, die Organisation und die Fans alles zu geben. Es wird spannend“, glaubt Grubauer und steckt gleich große Ziele: „Ich sehe das genauso wie das Vegas damals gemacht hat: Mit viel Hysterie in die Liga reinzukommen und gleich bis ins Stanley Cup Finale durchmarschieren. Klar, dass wir uns erst einmal einspielen und finden müssen. Ich finde es klasse bei dem Neuaufbau dabei zu sein. Ich habe jetzt sechs Jahre unterschrieben und freue mich, die Säule für Seattle sein zu dürfen. In dieser Zeit möchte ich natürlich den Stanley Cup nach Hause holen.“
Aus sportlicher Sicht scheint der deutsche Torwart in Seattle allerdings zunächst deutlich weiter von einem erneuten Stanley Cup Sieg entfernt zu sein als in Colorado. Vor allem in der Offensive könnte es bei den Kraken an Qualität fehlen. „Wir haben jetzt keinen Superstar wie einen (Alex) Ovechkin oder (Sidney) Crosby, sondern ein paar hart-arbeitende Jungs dabei. Es wird kein Eishockey wie in Colorado gespielt werden, wo wir jedes Mal sechs Tore geschossen haben, um ein Spiel zu gewinnen“, relativiert Grubauer. „Es wird eher eine defensiv-orientierte Truppe sein. Wir werden aus einer verstärkten Defensive heraus agieren. Dementsprechend wurden in der Verteidigung gute Transfers und Verpflichtungen getätigt.“
Genau das dürfte auch Grubauers Job zwischen den Pfosten einfacher machen. Mit seiner Ruhe, Athletik und teils spektakulären Saves hat er sich unter den Top-Goalies der Liga etabliert und ist einer der ultimativen Hoffnungsträger beim Liga-Neuling. Trotzdem gibt es immer etwas zu verbessern: „Vielleicht wieder das Spiel eine halbe Sekunde schneller zu lesen und sich in gewissen Situationen besser zu positionieren, um den entscheidenden Save zu machen“, zählt Grubauer auf und möchte in der Smaragdstadt an seine starke Vorsaison anknüpfen: „Wenn ich dasselbe wieder leisten kann, mit diesen Statistiken und der Anzahl an Siegen, dann wäre es überragend.“