DEL

„Raus aus der Komfortzone“: Tim Wohlgemuth steht vor packenden Tagen

Mit dem ERC Ingolstadt kämpft Talent Tim Wohlgemuth in diesen Tagen um den Meistertitel in der DEL. Danach will der 21-jährige Stürmer raus aus seiner Komfortzone und wechselt zu den Adlern Mannheim, auf die er in einem möglichen Finale treffen könnte…


Ingolstadt hat die reguläre DEL-Saison als Dritter abgeschlossen und sich den Ruf eines Geheimfavoriten erarbeitet. „Wir nehmen so einen Titel ganz gerne an, das kann jeder selbst entscheiden“, sagt Wohlgemuth. „Ich denke aber nicht, dass wir noch ein Geheimfavorit sind.“

Das mag auch daran liegen, dass der ERC im Playoff-Viertelfinale den favorisierten EHC Red Bull München gesweept hat (2:0-Serien-Sieg). Für viele eine Überraschung. „Wir wussten, dass in den Playoffs alles passieren kann“, so Wohlgemuth. „Wir sind nicht zum Spaß angetreten und haben auch in der Hauptrunde drei von vier Spielen gegen München gewonnen. Überrascht sind wir deshalb nicht, ein wenig überwältigt vielleicht schon.“


Als Meister nach Mannheim?  

Im Halbfinale trifft Ingolstadt nun auf die Eisbären Berlin. Wohlgemuth erwartet eine rasante Serie: „Ich denke, dass beide Teams viel Skill und Geschwindigkeit haben, vor allem in Sturm, aber auch in der Verteidigung. Beide Mannschaften spielen relativ dasselbe Eishockey. Das wird spannend. Es wird hin und her gehen. Die physisch und mental bessere Mannschaft wird gewinnen.“

In einem möglichen Finale könnte der ERC dann ausgerechnet auf die Adler treffen, Wohlgemuths zukünftigen Arbeitgeber. „Da mache ich mir keine Sorgen“, sagt der 21-Jährige. „Das sind Sachen, die für das nächste Jahr entscheidend sind. Ich spiele bis zum Ende für den ERC Ingolstadt und wir werden versuchen, das Ding nach Hause zu holen. Da spielt es keine Rolle, gegen wen es geht. Es ist völlig egal ob gegen Wolfsburg oder Mannheim.“


Komfortzone Kaufbeuren  

Wohlgemuth wurde in Landsberg am Lech geboren und beim nur 30 Kilometer entfernten ESV Kaufbeuren ausgebildet. „Ich habe dort meine komplette Kindheit gespielt, den Schritt vom Nachwuchs zum Profi gemacht. Das war ein Riesending für mich“, blickt der Linksschütze gerne zurück. „Ich schwelge in guten Erinnerungen. Es war eine sehr schöne Zeit für mich mit den Freunden, der Unterstützung meiner Eltern. Das hat Spuren hinterlassen. Ich bin froh, so lange dortgeblieben zu sein. Das hat mir viel gebracht.“

Nach über drei Jahren in der deutschen Top-Nachwuchsliga DNL debütierte Wohlgemuth in der Saison 2017/18 in der DEL2. In 25 Spielen gelangen ihm vier Tore und sechs Assists. Klar, dass Kooperationspartner Ingolstadt nicht lange untätig blieb und das Sturm-Talent in der Folgesaison 2018/19 zum ERC in die DEL holte.

„Ich war weiter in Bayern, nicht weit weg von Zuhause und kannte dort schon ein paar Jungs wie den Schützi (Simon Schütz, d. Red.). Eigentlich dachte ich auch, dass ich weiter in Kaufbeuren spielen kann, was dann aber nicht so war“, sagt Wohlgemuth und muss lachen: „Das war auch völlig okay so.“ 


Steigende Scoring-Zahlen und der Wunsch nach mehr Konstanz  

In Ingolstadt zählte der 1,83 Meter große Angreifer sofort zum Stammpersonal, absolvierte in seiner Debüt-Saison 42 Spiele (zwei Tore, drei Assists). „Das war damals schon ein Riesenschritt. Ich war relativ jung und wusste nicht, was mich erwartet. Ich hatte das Gefühl, ins kalte Wasser geworfen zu werden und fühlte mich nicht gut vorbereitet. Hätte ich an der einen oder anderen Stelle vielleicht härter arbeiten müssen? Vielleicht war aber genau das der Schlüssel, warum es so gut geklappt hat: Ich habe mir selbst nicht viel Druck gemacht, bin ohne Sorgen aufs Eis gegangen, hatte Spaß und habe das Eishockey gespielt, das ich konnte.“

Seine Scoring-Ausbeute konnte Wohlgemuth seitdem immer steigern: 2019/20 gelangen ihm 23 Punkte (zwölf Tore, elf Assists). 2020/21 folgte die bislang beste Saison seiner DEL-Karriere: In 37 Spielen der regulären Saison sammelte er 28 Scorerpunkte (zwölf Tore, 16 Assists). In den Playoffs ließ er in den ersten beiden Spielen gegen München schon zwei Treffer folgen.

BILDBYRÅN/Johannes Traub


„Ich denke, dass ich mich in den letzten drei Jahren in Sachen Geschwindigkeit und Konsequenz gesteigert und entwickelt habe. Es ging auch um diese kleinen Entscheidungen in den einzelnen Spielsituationen auf dem Eis“, analysiert Wohlgemuth und sieht noch Steigerungspotenzial: „Ich wäre gerne noch konstanter. Ich mag das selbst nicht, wenn ich am Freitag ein gutes Spiel mache und den Schwung dann nicht für das Spiel am Sonntag mitnehmen kann. Ich muss mich da immer neu reinfinden. Mich beeindrucken Spieler, die jedes Jahr ihre Tore schießen. So Spieler wie Patrick Reimer.

Auch Stürmer Patrick Reimer (Nürnberg Ice Tigers) ist genauso ein Spross aus Kaufbeuren wie sein jüngerer Bruder und Torwart Jochen Reimer, der für Wohlgemuth in Ingolstadt eine wichtige Bezugsperson war: „Ich habe mich mit Jochen gut verstanden, er hat mir auch menschlich viel geholfen, mich gefördert und einen Schritt weitergebracht. Zu Patrick habe ich als Jugendlicher aufgeschaut und ihn als Vorbild genommen.“


„Faszinierend“: Die NHL als Ziel?  

Nach den Playoffs 2021 wird der nächste Schritt in der noch jungen Karriere des Tim Wohlgemuth folgen. Es geht raus aus seiner Komfortzone und rein in einen der größten und erfolgreichsten Klubs in Deutschland. „Ich denke, dass ich menschlich vielleicht den einen oder anderen Schritt machen kann. Ich muss mich neu finden und sortieren, neue Leute kennenlernen und mich einfügen. Jeder, der schonmal den Job gewechselt hat, weiß, dass das auch eine menschliche Entwicklung ist. Man kommt mal raus aus seiner Komfortzone und muss wieder mehr leisten, um voran zu kommen.“ 

Wohlgemuth ist erst 21 Jahre alt. Den Sprung in die NHL haben schon deutlich ältere, ungedraftete Spieler noch geschafft. „Ich mache mir keinen Kopf, ob ich das packen könnte. Ich verfolge, wie die deutschen Spieler sich in der NHL entwickeln. Es ist schön zu sehen, dass sich so viele Deutsche in meinem Alter dort gut entwickeln. Das projiziert man vielleicht auch auf sich.“

Ein Lieblingsteam hat Wohlgemuth nicht. „Die Edmonton Oilers mit Leon Draisaitl und Dominik Kahun sowie die Ottawa Senators mit Tim Stützle sind Teams, die in unserer Kabine ein Thema sind, Ich finde das Niveau faszinierend und schaue mir gerne die Spiele an.“


Intensiver Saisonausklang  

Faszinierend dürften auch die letzten Wochen von Wohlgemuths Saison werden. Mit Ingolstadt ist der Meistertitel in der DEL drin. „Wir wissen, dass es maximal noch sechs Spiele sein können, vielleicht auch weniger. Wir wollen so weit wie möglich kommen und unser bestes Eishockey spielen.“

Danach steht womöglich noch eine Weltmeisterschaft mit der deutschen Nationalmannschaft an. „Für Deutschland zu spielen, ist immer ein ganz eigenes Gefühl: Es ist eine Riesenehre, wenn du nominiert wirst. Du hast immer das Gefühl, in deiner Karriere etwas richtig gemacht zu haben. Es zeigt, dass du aufgefallen bist, du dich entwickelst und gut gespielt hast, wenn du zu den besten deines Landes gehörst.“


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